EN | ES |

Facsimile Lines

966


< Page >

[1]
25

[2]
verbieten, da, wo der Staat in seiner Sphüre Gutes schafft,') aber auch
[3]
da, wo er Lasten zu tragen auferlegt, wie Steuern und Frohndienste,
[4]
die, obgleich an sich nicht berechtigt,? ja unter Christen eigentlich
[5]
unstatthaft, dennoch geleistet werden sollen, da sie zu leisten noch
[6]
nicht sündigen heisst. Zur Sünde zwingt aber der Staat die Christen,
[7]
indem er sie zum Kriege aufruft. Da, so wie überall, wo Sünde ge-
[8]
boten wird, erreicht der Gehorsam seine Gránze, namentlich wenn die
[9]
staatliche Gewalt im Dienste der Kirche und der Priesterschaft auf-
[10]
tritt und zum Abfall vom rechten Glauben nóthigt. Wenn überhaupt
[11]
jeder Glaubenszwang ein Übel ist, so ist derselbe, zu Gunsten der
[12]
verleiteten Kirche geübt, ein doppeltes. Aber auch dann bedeutet das
[13]
Reeht des Ungehorsams noch kein Recht, selbst Gewalt anzuwenden.
[14]
Es sündigen sowol diejenigen, die die alte Kirche mit Gewalt schützen,
[15]
als auch diejenigen, die für die Wahrheit des göttlichen Wortes in
[16]
den Krieg ziehen, denn beide lügen, wenn sie beten: vergib uns
[17]
unsere Sünden ....

[18]
In dem christlichen Staate und in der christlichen Gesellschaft,
[19]
wie sie sich seit den Tagen Constantins ausgebildet, gibt es für den
[20]
wahren Christen keine Stelle, ausser in den untersten Schichten, die
[21]
nur gehorchen, ohne zu befehlen, die dienen, ohne zu herrschen. Jede
[22]
Herrschaft, jede Stándegliederung verstósst gegen das Gebot der brü-
[23]
derlichen Gleichheit (Luk. XXII, 24—27) Konige wollen den Christen
[24]
ihr stolzes Joch auferlegen, da doch alle durch Christi Blut erkauft
[25]
sind, und verachten die Kreatur, die ihnen ähnlich ist. Niemand kann
[26]
König und in Wahrheit Christ zugleich sein. Constantin hätte das
[27]
kaiserliche Diadem niederlegen müssen. Was das alte Gesetz noch
[28]
gestattet hat, ist in dem neuen durch Christi Gesetz verboten. Ämter
[29]
im Staate und in der Gemeinde darf der wahre Christ auch deswegen
[30]
nicht bekleiden, weil er verpflichtet ist, die Gelegenheit zur Sünde
[31]
zu meiden, die überall ihnen anklebt. Er darf nicht Richter sein, da
[32]
er sich als solcher der Gefahr aussetzt, sich durch Geschenke beste-
[33]
chen zu lassen, nach Gunst und Ungunst sein Urtheil zu fällen, un-
[34]
redliche Zeugen zur Zeugenschaft aufrufend ihres Betruges mitschuldig
[35]
zu werden, und vor allem, weil die Gesetze, die er handhaben wird,
[36]
nicht die Besserung, sondern nur die Bestrafung der Schuldigen be-

[37]
! Nur dass die Macht gebietet und zwingt, wührend der Glaube dasselbe
[38]
nur lehrt. Das alte Gesetz hat den Zwang zugelassen. [m neuen Gesetz sündigt
[39]
derjenige, der zwingt, aber auch, wer sich widersetzt.

[40]
2) Die Worte des Apostels (Rom. XIII.) enthalten kein unter Brüdern gel-
[41]
tendes Gebot.


Text viewFacsimile