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ihre Kostbarkeiten und sonstige Kleinodien in den Sakristeien
der Kirchen hinterlegt. Es müssen deshalb für die Aufbewah-
rung der Urkunden in den Kirchen dieselben Gründe ausschlag-
gebend gewesen sein, welche zur Wahl eines solchen Aufbe-
wahrungsortes des Schatzes überhaupt, d. i. aller seiner Teile
führten. Aber auch die Feuersicherheit kann dabei keine ent-
scheidende Rolle gespielt haben. Im allgemeinen kann man '
nicht sagen, daB die Burgen der weltlichen Herren weniger
feuersicher gewesen würen als die Kirchen. Hiebei müssen wir
noch einen weiteren Umstand in Erwägung ziehen, Wir sehen
nämlich, daß schon im Altertum die Archivschätze überhaupt
in Tempeln ihre Aufbewahrung fanden, Die Juden, haben die
Archive wie die Bibliotheken in ihren Tempeln verwahrt. Bei
den Griechen wie bei den Römern waren die Tempel der eigent-
liche Aufbewahrungsort der Archive. Dies ist eine wie für die
Völker des Altertums so auch für die des Mittelalters charak-
teristische Erscheinung. Der Aufbewahrungsort ist hier wie
dort der gleiche — die Tempel und Kirchen. Die Religion bewid-
mete die heidnischen Tempel wie später die christlichen Kir-
chen mit dem Schirmdache der Unantastbarkeit. Bei allen Völ-
kern führte die auf Scheu vor dem Heiligen beruhende Sitte
dazu, daß Orte, welche der Gottheit und ihrer Verehrung ge-
weiht waren, einen besonderen Frieden genossen. Dieser Sacral-
friede erstreckte sich auf Sachen wie auf Personen, Die im
Altertum wie im Mittelalter zu beobachtende Gepflogenheit, das
Archiv in den Kultstätten aufzubewahren, ist demnach eine
Folgeerscheinung des Institutes des Sacralfriedens.
I. 16. Die vergleichende Methode vermag uns allein die ver-
loren gegangenen Beziehungen in der Entwickelung des Archiv-
wesens der älteren Zeit aufzudecken. Nur auf Grund verglei-
chender Forschung können die verschiedenen Probleme der
Archivgeschichte gelöst und eine allgemeine Archivgeschichte,
über deren Notwendigkeit kein Zweifel bestehen kann, auf-
gebaut werden.
II. 1. Theodor Anton Taulow von Rosenthal, der sich mit
der Geschichte des böhmischen Kronarchivs besonders in dessen
Anfängen beschäftigt hat, vermag nicht mit voller Sicherheit
zu sagen, an welchem Ort das böhmische Kronarchiv in den
ältesten Zeiten verwahrt gewesen sei. Doch tritt er für den
Vyšehrad ein, indem er behauptet, daß »der Anfang des böhmi-
schen Kronarchivs nicht wohl eher als von den Zeiten Vrati-
slavs I. hergeleitet werden kónne, da vor den Zeiten dieses Kó-
nigs keine anderen an die Landesfürsten ergehenden Briefe be-
kannt seien.« Rosenthal meint deshalb, da Konig Vratislav
»den ersten Grund zum Kronarchiv gelegt habe.« Er mutmaBt
weiter, da Kônig Vratislav »mit dem VySehrader Cancellariat