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und aufgestapelt ohne alle Controlle hatte lagern lassen. Erst nach dieser Zeit, namentlich in den beiden ersten
Jahrzehnten unseres Jahrhunderts dürfte eine sichtende Hand das Ruhedasein unserer Acten gestört und die
einzelnen Fascikel und Stücke geordnet, sowie in irgend einer Art an einzelne Centralümter vertheilt haben.
Wenigstens lisst sich aus den in dieser Zeit wiederholt von dem Landesprüsidium Bühmens an die Gubernial-
registratur und die Prager Universitütsbibliothek ergehenden Anfragen um Rechenschaftsabgabe über die ,ehe-
maligen Jesuiten-Archive*, — welchen Erkundigungen kaum ein localer Entstehungsgrund, sondern sicherlich
eine Wiener Anregung zur Ursache gedient haben dürfte, — schliessen, dass damals ein Interesse nehmender
und hiezu berufener Factor um diese Reste der alten Jesuitenarchive in Wien sich gekümmert haben muss.
Eine ,Vertheilung< andererseits muss aber ebenfalls in diesen Jahren staitgefunden haben, denn das kaiser-
liche Staats-Hof- und Hausarchiv soll nicht alles s. Z. von Jesuitenarchiven Aufgehobene, sondern nur die
strenger historischen Aufzeichnungen (jedoch z. B. ohne die ungemein wichtigen Hauptstücke der für eine
authentische Darstellung der Geschichte des Wirkens der Jesuiten in Bóhmen so umerlüsslichen Correspondenzen
dieser Ordensprovinz mit dem Jesuitengeneral zu Rom) besitzen?) Wahrscheinlich wurde diese Vertheilung
an die damaligen Unter-Centralstellen zu Wien nach der Materie des In haltes der einzelnen Acten vorgenommen,
zu welcher Annahme uns wenigstens die Thatsache von den in den einzelnen Ministerialregisiraturen und Ar-
chiven sich heute noch vorfindenden, verstreuten Jesuitenarchivschriften gelangen lassen darf.
Zu Prag war, noch 1774, wohl in Folge des Ausführungspatentes der Aufheb ung vom 12. Februar 1774,
bei der dortigen Aufhebungscommission ein eigenes , Judicium delegatum* einberufen worden, an welches
aus allen Jesuitenarchiven Bóh mens von den einzelnen Kreisaufhebungscom missionen der vorgefundene Schriften-
und Urkundenbestand zur Vorprüfung und behufs der oben erwühnten Einsendung an die Wiener Hofcentral-
stelle abgeliefert werden sollte. Nur von zwei Archiven Bóhmens aber u. z, von dem des Generalprofesshanses
der Jesuiten auf der Kleinseite und von dem Centrum der Jesuitenthütigkeit in Böhmen, dem Collegium der
Jesuiten zu St. Clemens auf der Altstadt zu Prag (Clementinum), ist hiebei einiges Defail uns üherliefert.
Das Kleinseitner Archiv wurde nümlich, wahrscheinlich wegen seines grossen Reichthumes an Studien-
stiftsbriefen, von dem ersten Aufhebungscommissir, dem Gubernialrathe Freiherrn von Wasmuth, :elbst über-
nommen und mit Hilfe des Gubernialdiurnisten Puchel eingesehen, worauf Was muth die Dccumente allge-
meineren Inhaltes im Wege des ,Judicium delegatum< der Wiener Hofkanzlei iibeimiltelte (1777—1780 1),
die nur auf Bóhmen sich beziehenden Schriften aber dem Prager Gubernialrathe Joseph Anton Ritter von
Riegger übergab. Riegger sonderte diese ihm überantwerteten Acten wieder weiter in solche, die zum
Gebrauche des damaligen bóhmischen Landesguberniums im Allgemeinen benóthigt wurden, und in eigentliche
Studienstiftungsbriefe. Jene wurden direct dem kais. Gu bernium zu Preg (und von diesem wohl cer Gubernial-
registratur), diese aber und ihre Erliuterungsbeilagen u nd Acten im Wege des Departements des Gubernial-
rathes Freiherrn von La Moth dem kais, Kammerzahlamte zu Prag zur Aufbewahrung zugestellt.
Was das zweite erwühnte Archiv, das des Altstüdter Jesuitencollegiums, anbelangt, so ist uns über
die Aufhebung desselben nur die Tradition eines Actes bedauerlichster Vernichtungslist erhalten, nach welchem
Berichte, — wie ihn uns eine amtliche Eingabe des Prager Bibliothekars Franz Posselt an das Landes-
gubernium zu Prag auf Grund einer von dem bedeutendsten Bibliothekare der Prager Universitütsbibliothek,
dem Professor der Theologie sowie Pr&monstratenser-Ordenspriester P. Raphael Ungar, auf das glaubwürdigste
„als allgemeines Gesprüchsstück unter den gleichzeitigen Professoren“ vertretenen Mittheilung, erhalten hat —,
der Provinzial des Collegiums P. Godefrid Provin im Beisein des P, Rectors und der Mitpatres bei dem
Aufhebungsacte des Archives selbst den Prüsidenten der Aufhebungscommission, Weihbischof Canonicus
Andreas Kayser, bat, ihm zu gestatten, eine Anzahl schon vorher gesonderte, blosse , Exercitia spiritualia *
enthaltende Fascikel des Archives der Einfachheit und Raschheit der Aufnahmserledigung halber und wegen
ihrer vólligen Werthlosigkeit in Bausch und Bogen vor den Augen der Uebernahmscommission verbrennen zu
dürfen. Der „gute und leiohtgliubige Domherr* und Commissionsleiter willfahrte der Bitte seines geistlichen
3) G. Wolf: Geschichte der k. k. Archive in Wien. Wien 1871, führt S. 91 unter den Hauptgruppen der im kaiserlichen
Hausarchive befindlichen Klosterurkunden, leider ohne jode Specification uud Erliuterung, „a) Jesuitica vom Jahro 1260 (?)J—1612*,
und Beilage III: „Urkunden aus Klöstern in Böhmen“: „Jesuiten bei St. Clemens 1557—1750¢ an.