EN | ES |

Facsimile Lines

966


< Page >

[1]
85

[2]
bei den Priestern sich Rath erbitten, durch sie ihr Heil suchend. Es ist
[3]
merkwürdig und doch wahr, dass ihr Magister, obgleich euch gute Bücher
[4]
und die sichere Wahrheit zu Gebote steht, doch euch dabei nicht be-
[5]
ruhigt... Das bringt euch keinen Nutzen, dass ihr auch in geringen
[6]
Dingen auf die Welt achten müsst und dass ihr unter einander zerissen
[7]
seid durch die Schriften der alten Heiligen, auf denen der h. Geist geruht
[8]
hat und die anders gesprochen und anders gewesen, als Wiklef spricht.
[9]
Deswegen, weil die Meinungen der Doktoren euch zerrissen haben, 80
[10]
könnt ihr, obgleich euch Wiklef gut zu sein scheint, getränkt durch den
[11]
alten Trank, an dem neuen doch nicht Gefallen finden...

[12]
Wiklef sagt, das geistliche Gesetz sei von den Prälaten der Kirche
[13]
gegeben worden und verkündet, um die Widerspenstigen zu beruhigen
[14]
nach besondern Gesetzen. Auf diese Weise sind Glaubensartikel durch
[15]
die h, Coneilien und Versammlungen verfasst worden. Die aus der Schrift
[16]
geschópften Gesetze und Wahrheiten, erschlossene und verschlossene, sind
[17]
zwar nicht gegen dieselbe, aber doch in anderer Art und Weise durch die
[18]
Kirche verlautbart worden. So ist es zu verstehen, wenn man sagt, die
[19]
Menschensatzung sei in dem göttlichen Gesetz verschlossen. Denn die
[20]
von den Prälaten gegebenen Gesetze sind aus der h. Schrift geschópft.
[21]
Darum heissen sie aber Menschensatzung, weil sie auf Menschenart in
[22]
Regeln gebracht worden sind und weil auf den Concilien viele Berathun-
[23]
gen gehalten werden mussten, um die Welt zum Glauben zu bringen.
[24]
Regeln sind aber aus der Schrift deswegen gezogen worden, um die
[25]
Widerspenstigen durch Gewalt zwingen und ahnden zu können nach den
[26]
Satzungen durch Bann, Ladungen und andere Zwangsmittel... Was die
[27]
Päpste, Bischöfe und Magister in den Concilien von Glaubensartikeln
[28]
oder Ordnungen und Dienstbarkeiten dem Sinne der Schrift gemäss be-
[29]
schlossen haben, das verwerfe ich nicht... Dass sie aber die Schrift in
[30]
Regeln gefasst und besondere Artikel und Gesetze aus ihr gebildet, das
[31]
muss einen besonderen Grund haben.

[32]
Den wahren Sinn der Schrift sollten die. Prälaten allerdings finden,
[33]
auf dass die Menge dieselbe dem wahren Glauben gemäss verstehe. Aber
[34]
auf Concilien Gesetze aus der Schrift bilden, das heisst die Menschen
[35]
mit Gewalt von der wahren Güte abbringen, da sie doch, über das, was
[36]
recht ist, aus der Schrift belehrt, es freiwillig thun sollen. Das musste
[37]
aber geschehen, als das Volk von der wahren Güte, die dem Gesetz
[38]
Gottes entspricht, abgefallen war und als man die ganze Welt der Sünder
[39]
unter den Glauben aufgenommen hatte... Da aber eine solche Menge
[40]
von Sündern Gott zu dienen weder versteht noch fähig ist, so mussten
[41]
die Prälaten für sie besondere Regeln und Gesetze aufstellen, die diese
[42]
so fassen könnten, wie sie es fähig wären, nämlich in leiblicher Weise,
[43]
auf dass alle des Glaubens theilhaftig werden und das Heil erhoffen
[44]
könnten: die Henker, die Schergen, die Blutmenschen des Rathhauses, die
[45]
Gewaltmenschen der Burgen und Festen, die sich von dem Blut und
[46]
Schweiss des arbeitenden armen Volkes nähren, selbst den Leib pflegend
[47]
und den Lüsten nachgehend. Sie und die gesammte Potte, die von Gottes
[48]
Gesetz abgefallen, kann nach Ausmass jener Gesetze im Glauben leben
[49]
und aller Sakramente theilhaftig werden, die die Kirche- verwaltet. Nie


Text viewFacsimile