Geheime
Staatspolizei
Staatspolizeistelle
Wien
Tagesrapport Nr. 8
vom 13. und 14.10.1938
[...]Der Tagesrapport beginnt mit Berichten über die kommunistische Bewegung
,
die russische Emigration
, die katholische Bewegung
, Sekten
und
Juden
.
2.) Am 4.9.1938 wurde am Bahnhof in Lundenburg durch einen
Grenzkontrollbeamten die Feststellung gemacht, dass eine Gruppe von Juden
in Begleitung eines čsl. Kriminalbeamten von einem aus Wien kommenden Zuge
abgeholt und unter Umgehung der Pass-
und Zollrevision durch den Hauptausgang aus dem Bereich des Bahnhofgebäudes geführt wurden.
Einem österr. Zollbeamten gelang es, von dieser Gruppe die Juden
Alfred Kollek, 13.6.1874
zu Velka-Bytca geboren, DR.,
Wien 3.,
Hauptstrasse wohnhaft,
und dessen Sohn
Paul Kollek, 9.1.1922 zu
Wien geboren,
Wien 3.,
Hauptstrasse wohnhaft,
knapp vor Verlassen des Bahnhofsgebäudes anzuhalten und zu durchsuchen. Die beiden Juden
waren in Besitz gültiger Einzelpässe mit einer ordnungsgemässen Ausreisebewilligung für die Tschechoslowakei.
Die Genannten gaben übereinstimmend an, dass sie als Juden
das Deutsche Reichsgebiet verlassen wollten. Die zur Einreise erforderliche
Bewilligung der čsl. Vertretungsbehörden konnten sie sich trotz Bemühungen nicht beschaffen.
Sie traten deshalb mit dem arischen
Rechtsanwalt
Dr. Adolf Leischner, 24. 12. 1882
zu Friedland/CSR. geboren,
DR.,
Wien 2., Czerningasse 19
wohnhaft,
in Verbindung, der angeblich sehr gute Beziehungen unterhalte. Die Beschaffung der
Einreisebewilligung durch das čsl.
Bundesministerium in Prag war diesem Aber nicht möglich. Durch Verwandte wollten sie nun auf einen
gewissen Bondy
aus Brünn (näheres Nationale
unbekannt) aufmerksam gemacht, mit dem sie in Verbindung traten. Bondy erklärte ihnen, dass er sie ohne Schwierigkeiten in
die CSR
bringen könne. Sie fuhren mit einem fahrplanmäßigen Zug in Begleitung des
Bondy
nach Lundenburg, der sie und
noch eine Gruppe anderer Juden aufforderte, am Bahnhof in Lundenburg mit ihm den
Zug zu verlassen, und ihm in einer geschlossenen Reihe zu folgen. Bondy begab sich zu 2 Herren, die am Hauptausgang
warteten, welche dann die Führung übernahmen. Der Portier öffnete im Auftrag der beiden Zivilpersonen die Türe und
liess alle ohne Pass- und Zollkontrolle passieren. Es wurde
festgestellt, dass die beiden Zivilpersonen Beamte der čsl. Staatspolizei sind. Einer der Beamten namens Novak war im Jahre 1930 bei der čsl. Passkontrolle am Bahnhof in Lundenburg tätig. Der
Bahnhofportier rief dem Kriminalbeamten
Novak nach, ob die ganze Gruppe zu ihm gehöre, was
dieser bejahte. Es konnte weiter festgestellt werden, dass Novak von Lundenburg nach Brünn versetzt wurde, da er im dringenden Verdachte stand, an einem
Einbruchsdiebstahl im österr.
Bahnhofszollamte beteiligt gewesen zu sein. Die beiden čsl. Kriminalbeamten standen offenbar mit dem genannten Bondy
in engster Verbindung.
Bondy wurde in Wien angekündigt, ist aber
offenbar seit diesem Vorfall nicht mehr nach Wien gekommen. Die
Grenzkontrollstelle Lundenburg berichtet, dass Bondy
wiederholt bei Lundenburg nach Österreich
eingereist ist.
Dr. Leischner verantwortet sich dahin,
dass er lediglich beim Passamt
für nichtarische Passwerber in Wien ordnungsgemäss die
Ausreisebewilligung besorgt habe.
[...]Der Tagesrapport endet mit Berichten über die Opposition
,
Wirtschaftsfragen
, die Partei und Gliederungen
, Abtreibung
,
Presse
und Sonstiges
.