Menschliche Tragödie bei Pressburg
50 Gehetzte zwischen den Grenzen
STOSSTRUPPEN BRACHTEN 51 MENSCHEN AUF DONAUINSELN. – SCHRECKLICHE BARBAREI DES RASSISMUS. – BEREITS VIER MENSCHEN TOT.
Pressburg,
20. April. (Ursprüng. Nachricht.)
Zwischen den Grenzen der Tschechoslowakei,
des ehemaligen Österreich und Ungarn entwickelt sich ein schrecklicher Kreuzweg von 51 jüdischen Vertriebenen. Samstagnacht kamen nämlich Stoßtruppen in einige Orte des
österreichischen
Burgenlands, wo
sie eine ganze Reihe jüdischer Familien mit einem „Besuch“ beehrten. Sie zwangen sie
dazu, die deutsche Staatsbürgerschaft abzugeben und verluden dann 51 Personen auf Boote
und brachten sie auf Donauinseln, unweit des Thebener Ufers. Unter den
Betroffenen sind elf Kinder und zehn Frauen,
das Jüngste der Vertriebenen ist ein zweijähriges Kind
und der Älteste ein 82-jähriger Greis.
Am Sonntagmorgen fanden die tschechoslowakischen
Wachposten diese Menschen und brachten sie nach Pressburg, wo man sie im
Schubbahnhof unterbrachte. Eine 72-jährige Frau,
die einen nervösen Schock erlitten hatte, musste sofort ins Krankenhaus gebracht werden. Die
Unglücklichen beantragten eine Aufenthaltserlaubnis in der Tschechoslowakei,
aber noch am Sonntag wurde ihnen mitgeteilt, dass das Innenministerium den Aufenthalt nicht genehmigen könne.
Darauf folgte ein weiterer Teil des Kreuzwegs dieser Menschen. Sie wurden in Autos verladen
und zu einem Ort gebracht, an dem die Grenzen der Tschechoslowakei,
Ungarns und
Deutschlands aufeinandertreffen. Dort in der Waldeinsamkeit wurden sie
ausgeladen und hier lebten sie zwischen den Grenzen wie auf einer verlassenen Insel.
Vergeblich versuchten sie die Grenzen zu überqueren. Lediglich die Bewohner der umliegenden
Ortschaften brachten ihnen aus Mitleid etwas zu essen. Nachrichten zufolge gelangten sie am
Dienstag nach Ungarn, die ungarischen Wachposten trieben sie jedoch zurück nach Österreich. Nur
eine Frau konnte dem Kreuzweg entkommen, indem sie krank wurde und ins Pressburger
Krankenhaus kam, wo sie bis jetzt ist.
Ein Mitarbeiter unseres Blattes begab sich am Mittwochmorgen an die ungarisch-österreichisch-tschechoslowakische
Grenze und ermittelte Folgendes über das Schicksal der Vertriebenen:
Als die ungarische
Grenzwache die Unglücklichen auf österreichisches Gebiet vertrieben hatte, kehrten 15 von ihnen zu dem
Grenzpunkt zurück, wo sie nicht in Reichweite der Stoßtruppen sind. Die anderen wurden
eingesperrt und sind nun in der Macht der deutschen Behörden in Kittsee, die sie in
irgendeinem Keller untergebracht haben.
Vier der Vertriebenen sind bereits umgekommen. Zwei Männer haben Selbstmord begangen und zwei sind in den Waldmooren unweit der Stelle ertrunken,
wo sie versuchten heimlich die Grenze zu überqueren. Es ist unzweifelhaft, dass die
deutschen Wachposten im nächsten passenden Moment auch die verbliebenen 32
Personen in irgendeiner Ortschaft an der Grenze aussetzen werden.
Die tschechoslowakischen Behörden beharren bislang auf ihrer Entscheidung, wonach
diese Unglücklichen nicht auf des Gebiet der Republik einzulassen sind. Eine Abordnung der
jüdischen Seite hat das Innenministerium persönlich ersucht, irgendeinen Weg zu finden, um das
Schicksal der Verbannten zu mildern. Zum größten Teil sind es Handwerker und Kaufleute vom
Land. Zwei von ihnen haben Frauen
von nichtjüdischem Bekenntnis. Als ihnen am Sonntag die Stoßtruppen mitteilten, dass sie
Österreich verlassen müssen, wollten auch ihre Frauen
mit ihnen gehen. Doch man hielt sie fest und verwehrte ihnen den Grenzübertritt.
Auch die Welt beginnt sich für diese beispiellose Tragödie zu interessieren. In Pressburg ist gerade im
Moment der berühmte amerikanische Journalist John
Gunther, dessen Buch „Europa wie es ist“ auch in der Tschechoslowakei
sehr gut bekannt ist.Gunther, John. Inside Europe. London: Hamish
Hamilton, 1936.
Tschechische Übersetzung: Gunther, John. Evropa - jaká je. Praha:
Fr. Borový, 1938.
Er besuchte sowohl die unglücklichen Vertriebenen als auch
die Behörden und hat über das ganze barbarische Ereignis ein umfassendes Telegramm für
englische und
amerikanische Blätter aufgegeben. Angeblich zeigen auch Londoner Behörden Interesse
an der Angelegenheit.