Der Interviewauszug folgt der Beschreibung der Situation nach dem Anschluss
und der vorbereiteten Auswanderung aus Österreich nachdem Kurt R. Fischer
zusammengeschlagen wurde[...] Und dann wurde meine Auswanderung, ich habe eine Gehirnerschütterung gehabt und so weiter, dann wurde
meine Auswanderung sehr stark betrieben und ich bin, ich glaube am 20. Juni 1938, von
einem Cousin, einem Anwalt aus Brünn, Dr. Bleyer, im Auto
abgeholt worden und nach Brünn gebracht worden. Mein Onkel hat den, ich hab einen österreichischen
Pass gehabt und die Ausreiseerlaubnis. Mein Onkel in Brünn hat den Bürgermeister
von Nikolsburg an der Grenze bestochen, so dass ich in die Tschechoslowakei
einreisen konnte ohne eigentlich ein Visum
zu haben in die Tschechoslowakei kommen zu können. Ich wollte nie Jude sein, ich war also
sehr starker Marxist als Kind und Jugendlicher, obwohl ich nirgends natürlich beitreten
konnte in Wien und war sehr froh, im Jahre 38 aus der Kultusgemeinde
auszutreten. Aber ich wollte nicht besonders katholisch getauft werden, aber das war
wirklich notwendig in Brünn, obwohl ich mich christlicher Kultur zugehörig gefühlt habe, war
notwendig in Brünn,
weil mein Onkel gesagt hat, und ich glaube, sicherlich muss er recht gehabt haben - mein
Onkel war auch Katholik natürlich - dass ich als Getaufter in der Tschechoslowakei
leichter eine Aufenthaltsbewilligung haben kann. Ich bin dann dort weiter auch in die
deutsche Textilschule gegangen. Was dann passiert ist, ist natürlich das Abkommen von München gekommen, Teile der Tschechoslowakei
wurden genommen und dann kam der, wurde die Tschechoslowakei
ganz genommen und am 15. März, glaube ich war das, 1939. An dem Tag sind wir von Brünn nach Prag
gefahren, weil wir gedacht haben, die Deutschen werden nur gewisse halbdeutsche Gebiete so
wie Brünn nehmen. Sie
haben aber alles genommen, wie wir in Prag
waren, waren schon die deutschen Truppen da. In dem Hotel, in das wir gehen wollten oder in
dem wir gesessen sind, haben wir noch Mittag gegessen oder gefrühstückt auf der Veranda. Da
waren viele Tausende Tschechen draußen, die „Židi ven!“ geschrien
haben, „Juden raus“, ich sage das jetzt, weil mir das später Tschechen nicht geglaubt
haben, dass die Tschechen da antisemitisch waren. Wir sind dann nach Brünn zurück, in derselben
Nacht. Das war dann das Protektorat Böhmen und
Mähren und ich habe geglaubt, dass ich nicht lange leben werde. Denn während
ich in Brünn war, war
ich geheim, ohne dass mein Onkel das gewusst hat, Mitglied der Deutschen Demokratischen Jugend,
das war eine kommunistische Frontorganisation und knapp vor der Auflösung unseres
Sekretariats dort, das war ja schon nach München, haben wir das aufgelöst, war ich Mitglied der Roten Wehr. Und nun habe ich die .... habe ich ....
wurde dieses Sekretariat dort, auch der Roten Wehr, beschlagnahmt und die Dokumente kamen
ins Polizeipräsidium. Na, das war ja keine so schlechte Sache in der zweiten tschechischen Republik damals, aber als
Hitler kam, dann habe ich mir gedacht, diese Papiere sind dort bei der
Polizei,
es wird nur einige Tage dauern und ich werde schon von der Gestapo verhaftet
werden. Aber dann hat der Polizeipräsident, der Vizepolizeipräsident, der ein tschechischer
Sozialdemokrat war, alle Papiere, belastende Papiere verbrannt und sich dann erschossen.
Damit hat er vielen Leuten das Leben gerettet, also auch mir. Ich bin dann weiter an die
deutsche Textilschule gegangen, habe nach tschechischen Bedingungen,
mein Onkel war befreundet oder er war ein Schulfreund des Gestapochefs in
Brünn. Ich bin als
Halbjude und Deutscher, das Gesetz wurde so interpretiert, dass ich Halbjude bin. In Wien war ich ja kein Halbjude. Es handelt sich um den Stichtag der Taufe, der war anders in der
Tschechoslowakei, aber nun war ich ja eigentlich aus Österreich.
Das wurde aber so interpretiert, dass ich als Halbjude weiter in die Schule gegangen bin und zwar bis zum letzten Schultag im
Jänner, am 1. Feber 1940 erst sind wir ausgewandert. Ich hatte vorher die Chance, durch den
Gestapochef, aber ich glaube, dass das überhaupt möglich war, mich als
Deutscher zu deklarieren und zwar so, ich würde im Februar 18 Jahre geworden sein und ich
hätte mich freiwillig zum Militär melden müssen, es war ja schon Krieg. Ich wäre von der
Wehrmacht
abgelehnt worden und in den Arbeitsdienst gekommen als Halbjude und es wäre so weitergegangen. Die andere Alternative, die ich hatte,
durch die Verbindungen, das war ja alles noch österreichische
Monarchie, hätte ich ... also einen jüdischen Pass
haben können. Und den habe ich genommen und bin mit meinen Eltern nach Shanghai ausgewandert.
Leider wurde der Gestapochef ausgewechselt, die Nazis haben ein sehr gutes Gespür für Korruption
gehabt und haben den Brünn
Gestapochef
zum Gestapochef in Hamburg gemacht, eine viel größere Position, und haben den Hamburger Chef hinunter nach Brünn geschickt und dieser
Sache ist dann mein Onkel zum Opfer gefallen, er musste Selbstmord begehen. Also ... wir haben das Visum
nach Shanghai
bekommen, aus Amerika hat jemand Geld für uns gegeben, ein Verwandter von Verwandten, und
wir sind zuerst nach Wien gekommen, waren hier zwei oder drei Tage, Pension Franz auf der
Währingerstraße, sind weitergefahren nach Triest und haben uns dann,
vielleicht am 7. Februar 1940 oder so nach Shanghai eingeschifft, auf
der Conte Rosso, ein Schiff, das die Lloyd
Trestino betrieben hat.