[...]Der Abschnitt der Erinnerungen beginnt mit der Schilderung antijüdischer
Ausschreitungen in Österreich während des Anschusses
und der geglückten
Hilfeleistung in Form der Beförderung von vertriebenen Jüdinnen und Juden aus
Frauenkirchen über die Donau. Kurz darauf wusste ich, dass es keine Einzelaktionen
war. Denn kaum vier Wochen später, am ersten Morgen das Pessachfestes 1938, kam der Sekretär der Pressburger
Jeschiwa, Fettmann, im Auftrage des
Rabbiner
Wessely zu mir, Ich möge mich dringend zum Rabbiner begeben. Dort befand sich bereits der Pressburger Fleischer
Max Lustig, der soeben mit dem Fahrrad aus
Theben-Neudorf angekommen war und zu berichten wusste, dass sich auf der
Keschmarkinsel auf der Donau rund
100 Juden aus Kittsee (Burgenland) befinden, darunter auch der alte, 90jährige Rabbiner
Perls mit seiner Frau. Die Gendarmen bewachten den Ort, damit sie jede Infiltration in die Slowakei
verhinderten.
Rabbiner
Wessely wollte mich veranlassen, mit einem Taxi zur Stelle zu fahren.
Ich bat Fettmann, den in der Nähe wohnenden Gemeindesekretär Eichner herbeizuholen, damit wir gemeinsam die Situation
erkunden. Mit einem Taxi am Schauplatz eingetroffen, bot sich uns ein schauerliches Bild.
Auf meinen Vorschlag hin fuhren wir zum Polizeidirektor
Dr. Jusko, erörterten mit diesem das Problem, doch
er wollte ohne Zustimmung übergeordneter Stellen nichts unternehmen. Der Einlass dieser
Juden ohne Grenzpassierscheinen könnte ihn seinen Posten kosten. Immerhin gab er
unserem Drängen nach und erlaubte uns die Flüchtlinge unter Polizeibewachung ins Polizeigewahrsam in der Landstrasse 7-9 zu überführen. Die Flüchtlinge berichteten, sie seien buchstäblich vom Sedertisch in bereitstehende Lastautos getrieben worden, ohne auch nur etwas
Kleidung oder Nahrung mitnehmen zu dürfen und auf der Donauinsel ausgesetzt worden.
Inzwischen hatten Rachel Unreich und
einige brave, koschere Hausfrauen, in grossen Töpfen Speisen
eingesammelt, die jüdische Gemeinde stellt Mazzoth
zur Verfügung und die armen Opfer nazistischer Willkür kamen zu ihrer ersten Mahlzeit.
Polizeidirektor
Dr. Jusko nahm mit dem Innenminister in Prag Kontakt auf, doch die
Aufnahme der Juden wurde abgelehnt und ihr Rücktransport nach Österreich
angeordnet. Die Tschechoslowakei, lautete die Antwort aus Prag, hätte bereits genug
Juden. Immerhin räumte uns Dr. Jusko die Möglichkeit weiterer
Interventionen ein. Eine Reihe von Männern, wie Dr.
Julius Reiss, Dr. Moritz
Fleischhacker, Ludwig Mayer
und Heinrich Schwartz schalteten sich
ein, man nahm die Minister Hodza und
Dérer in Prag in Anspruch, aber ohne
Erfolg.
Während Jüdische Frauen in aller Eine Kleidungsstücke gesammelt hatten, eilte ich zu dem
Schwiegersohn des stets hilfsbereiten Albert
Gestettner, einem gewissen Herrn Popper. So erreichte ich, dass man uns den Hof „Antonienhof“ im slowakisch-ungarisch-österreichischen Dreieck zu Verfügung stellte, wo für die rund hundert
Menschen in einem Heuschober das Nachtlager vorbereitet wurde. Nach zweitägigem Aufenthalt
im Pressburger
Polizeigewahrsam wurden die Leute nachts ins Niemandsland „Antonienhof“ befördert.
Dudi Rosenberger fuhr mich mit seinem
Wagen hin, um nachsehen zu können, wo die Leute untergebracht werden, aber die Grenzwache
bemerkte mein Vorhaben und die Wachposten wurden daraufhin verstärkt.
Wiederum fiel mir Dr. Ördög in Kadlburg ein. Tatsächlich
fuhr ich am nächsten Tag in Begleitung Sterns zu
ihm und erbat seine Hilfe. Doch diesmal ging es nicht mehr so glatt, denn inzwischen hatte
sich auch der Gendarmeriemajor
Demény aus Wieselburg
eingeschaltet. Dr. Ördög hatte mich an ihn
verwiesen und sollte ich dessen Einwilligung einholen, würde er selbst keine Einwände
erheben.
So begann denn wiederum die unweigerliche Hin- und Herfahrt, der unausbleibliche
Nervenkitzel und wieder standen wir einem Mann gegenüber, der unseren Bitten kein Gehör
schenken wollte. Meine Absicht war es, die Flüchtlinge nach Kadlburg zu bringen, von wo ich sie fortschaffen würde. Für
Popper war es nämlich unmöglich geworden, die weiterhin in
„Antonienhof“ zu behalten.
Als ich schliesslich immer wieder beteuerte, die Leute aus Kadlburg fortzuschaffen,
war der Major bereits etwas zuvorkommender und erteilte die Bewilligung, den ungebetenen
Gästen in Kadlburg
einen Stall zur Nächtigung zu Verfügung zu stellen. Noch in derselben Nacht fuhr ich mit den
Gendarmen zu „Antonienhof“, um die Überführung vorzunehmen. Die Gendarmen waren gegenüber den Flüchtlingen von solcher Brutalität, dass ich ihnen mit einer Anzeige drohen
musste. Da die Aktion mit Zustimmung von Major Demény erfolgt, hätten sie kein Recht die schuldlosen Menschen zu misshandeln
und zu erniedrigen.
Nachdem die Leute in einem Kadlburger Stall unte[rge]kommen waren, setzte ich die Verhandlungen mit
Dr. Ördög fort. Er erklärte sich mit der
sukzessiven Überführung von je 25 Menschen über die Donau nach Ragendorf einverstanden,
sofern ich auch Major Deménys Zustimmung
eingeholt habe. Aber der Major wollte von einem sukzessiven Abtransport nichts wissen. Ich
habe alle Leute gleichzeitig fortzuschaffen.
Aber inzwischen kam von Feigenbaum aus
Gutor die
Nachricht, dass auf diesem Wege nichts mehr zu machen sei. So unterbreitete ich dem Major
einen anderen Vorschlag: ich werde nach Pressburg fahren, ein
Schiff besorgen, alle Menschen auf einmal verschiffen und solange auf Wasser bleiben, bis
wir in der Slowakei einreisen dürfen.
Major Demény wurde ungehalten: „Nehmen Sie zur
Kenntnis, Herr Grünhut, dass wir kein
Transitlager für illegal eingeschleuste
Juden sind. So geht es auf die Dauer keineswegs. Sie bringen uns immer wieder
ganze jüdische Gruppen auf den Hals und müssen sich Ihre Zusagen rechtzeitig wohl
überlegen, denn an diese haben Sie sich unbedingt zu halten. Darüber hinaus müssen Sie sich
die Einwilligung des KEOKH einholen, ohne der ich die gesamte Aktion nicht gestatten kann.“ Mit
diesen Worten verliess mich der Major.
So schnell ich nur konnte, begab ich mich nach Budapest zu Kahan Frankl. Wiederum wurde Dr. Rainer in Anspruch genommen. Wir erbaten vom Fremdenpolizeichef
Akos Amon Pasztoi die entsprechende
Bewilligung und er verständigte hiervon Major Demény. Der Major und Hauptmann
Dr. Ördög hatten nun den Auftrag, die Leute in
Kadlburg zu
lassen, wo sie bis zur Einschiffung von den Rajker
Juden
Weiss, Spuller und Lewin mit den nötigen
Lebensmitteln versorgt wurden.
Für den Augenblick wäre also alles geregelt. Ich fuhr nach Pressburg zurück, um
zusammen mit Sigi Felsenberg den „Intercont“-Generaldirektor Dr. Munk aufzusuchen und seine Hilfe zu erbitten. Dessen
Prokuristen Jellinek und Reichsfeld teilten uns mit, dass im Winterhafen ein
französischer Schlepper und das Schlepperschiff „Zürich“ stünden. Man könnte diese beiden
Schiffe zusammentun, um den Flüchtlingen in Kadlburg zu helfen.
Noch am gleichen Tage wurden bei Schmule
Weiss mit Zustimmung des Vorstandes der Orth. Gemeinde hundert Strohsäcke,
Kopfpölster, Laken und Decken besorgt, 100 Ballen Stroh wurden zum Winterhafen befördert und
mit Hilfe einiger junger Leute verladen. Jellinek nahm die „Zürich“ und den französischen Schlepper an sich und ich
hatte mich mit Stern bis zum Grenzstein 1010 zu
begeben, wo die Leute bereits zu warten hatten. Stern und ich standen schon am Ufer des ungarischen
Rajka, als das
Schiff ankam. Wir hatten volle Hände mit Arbeit, um den Schlepper an Bäumen zu befestigen,
aus Brettern einen Steg zu improvisieren und die Einschiffung zu organisieren. Die Matrosen
lösten die Stricke vom Schlepper und fuhren davon. Stern und ich blieben ziemlich ratlos am Ufer stehen.
In diesem Augenblick war denn auch Major Demény
am Schauplatz erschienen, um hier Umschau zu halten. Als er en Schlepper ohne Schiff
erblickte, schrie er mich an: „Die Leute sind jetzt in Ungarn. Wo ist das Schiff,
das diesen Schlepper fortschafft?“ Ich versuchte mich zu entschuldigen, der Schiffskapitän
hätte mich im Stich gelassen und sei von den Ereignissen selber vor den Kopf gestossen.
Major Demény beschimpfte mich einen Lügner und
Betrüger. Er werde jetzt die Leute vom Schlepper zurückholen und nach Österreich
zurückbefördern lassen. Dem anwesenden Gendarmen und dessen Gehilfen gab er den Befehl, mich in Ketten zu legen und zur
Gendarmeriestation nach Wieselburg zu
befördern.
Ich wurde in Stern Wagen abgeführt, der Schlepper
mit den Leuten blieb vorderhand dort und die Juden
aus Rajka brachten
mit Max Weiss das vorbereitete Essen.
In Wieselburg begab sich nun Stern zu
einer bekannten jüdischen Weinbrandfirma, um einen gewissen Herrn Deutsch zu einer Intervention zu meinen Gunsten zu
veranlassen. Doch Major Demény war an Ort und
Stelle, die Intervention blieb nutzlos. Ich wurde in eine kalte Zelle gesteckt, bekam
natürlich kein Essen und konnte nur die kommenden Ereignisse abwarten.
Etwa um ein Uhr nachts wurden mir endlich die Ketten abgenommen und ich wurde dem Major vorgeführt. Er liess mir eine Tasse schwarzen
Kaffees und ein Stück Brot geben und begann mit dem Verhör. Er fragte mich, wie ich mir
die schleunigste Fortschaffung der Leute von der Donau vorstelle. Ich erwiderte, als
Gefangener nichts unternehmen zu können und der einzige zu sein, der den Vorfall liquidieren
könne. Ich wagte sogar dem Vorschlag zu machen, der Major möge mich freilassen und ich werde mich sofort zum Joint
nach
Paris begeben, wo
ich über die besten Beziehungen verfüge.
Beim Wort American
Joint
horchte der Major auf und
überlegte intensiv die Lage. Ich verpfändete mein Ehrenwort, die Juden
auf dem Schiff niemals im Stich zu lassen und aus Paris die nötigen Gelder
herbeizuschaffen, um deren Auswanderung zu gewährleisten. Deutsch übernahm für mich die Garantie dafür, dass diese Zusagen erfüllt
werden.
Plötzlich wurde der Major persönlich. In
vertrauten Ton stellte er die Frage, ob ich bereit wäre, zu seiner Schwester nach Kalna (einem Ort neben der
slowakischen Stadt Levice) zu fahren und ihr
5000 Kronen zu geben. Sie sei nämlich von den Slowaken ihres
Postens als Lehrerin enthoben und ohne Abfertigung und Pensionsrecht entlassen worden. Ich
versprach, der Major werde bis zum nächsten Abend
die schriftliche Bestätigung seiner Schwester über den Empfang des Geldes in den Händen
haben.
Um vier Uhr früh fuhr ich mit Stern in Begleitung
von Gendarmen zur Grenze, die zu veranlassen hatten, dass mich die Grenzwache noch vor
6 Uhr morgens durchlässt. In Pressburg eingetroffen,
rief ich Präses Pappenheim an und kündigte
mich für 8 Uhr früh in der orth. Gemeindekanzlei an. Pappenheim kam in die Kanzlei, folgte mir die 5000 Kronen aus, ich fuhr mit
einem Taxi nach Kalna, übergab das Geld und konnte noch am Nachmittag dem Major einen ausführlichen Brief von seiner Schwester
überreichen. Daraufhin gab mir Major Demény eine
Frist von 10 Tagen, um nach Paris zu fahren und die Sache zu regeln. Ich sollte ihn über das Ergebnis
meiner Pariser
Gespräche von dort aus telegrafisch verständigen.
Am Abend erstattete ich dem Gemeindevorstand in Pressburg Bericht.
Präses Pappenheim beauftragte Josef Blum von der Jüdischen Kreditgenossenschaft, einen Vertrauensmann des Joint
, mit
mir nach Paris zu
reisen, um eine schnelle Erledigung der Sache zu gewährleisten.
Ich verfügte über ein ständiges Visum
nach Frankreich, Josef Blum
besorgte sich dieses sofort und am Abend waren wir bereits nach Prag unterwegs, um von dort
aus nach Paris zu
fliegen. Während eines etwa dreistündigen Prager Zwischenaufenthaltes
suchten wir die Joint
-Beauftragte für die CSR, Frau Schmolka, auf und informierten sie eingehend über
den fall der burgenländischen
Juden. Sie rief telefonisch Gisi
Fleischmann in Pressburg an und bekam bestätigt, dass sich 100 vertriebene burgenländische
Juden und ihr greiser Rabbiner unter menschenunwürdigen Verhältnissen auf dem Schlepper befinden.
Am nächsten Tag waren wir im Pariser
Joint
-Gebäude erschienen und zu einem Herrn Ahronovits vorgelassen. Ich stelle mich als
Vizepräsident der Orth.-Israelitischen Kultusgemeinde von Pressburg vor, erzählte
wiederum genau die Geschichte der 100 burgenländischen
Juden auf dem Donauschlepper und schilderte die uns allen drohenden Gefahren,
falls nicht innerhalb weniger Tage Abhilfe geschaffen werde. Die Flüchtlinge würden unweigerlich nach Österreich
zurückgestellt und dem sicheren Tod ausgesetzt sein.
Direktor Ahronovits fiel mir ungeduldig
ins Wort: „Was wollen Sie von uns, eine moralische Hilfe? Hier können wir Ihnen höchstens 50
000 Ffr als eine Art Unterstützung geben, mehr können wir für Sie nicht tun.“
Innerlich über so viel Unverständnis aufgebracht, aber nach aussenhin gelassen, erwiderte
ich, keineswegs um Almosen zu bitten, denn das nötige Geld könne auch von unseren
Gemeindemitgliedern aufgebracht werden. Vielmehr verlangte ich eine moralische Hilfe des
Joint
. Ich führte des weiteren aus, man müsse bei der französischen
Schiffahrtsgesellschaft , der der Schlepper gehört, intervenieren und erreichen, dass es uns
ohne Standgeld solange überlassen bleibt, bis die Leute fortgeschafft werden können.
Ansonsten müsse „Intercont“ dafür aufkommen. Ferner müsste bei der Ungarischen Gesandtschaft
vorgesprochen werden, um das Aussenministerium in Budapest zu veranslassen, der KEOKH eine
Anweisung ergehen zu lassen, den Schlepper solange in Ragendorf ankern zu lassen, bis die
Insassen anderswo untergebracht werden können. Im Falle einer ungarischen Weigerung müsste
der tschechoslowakische Gesandte Osusky
ersucht werden, eine tschechoslowakische Bewilligung zu verschaffen. Auch die Jewish
Agency, Hicem und
Hias sollten eingeschaltet werden, um eine schnelle und positive Lösung zu finden.
Direktor Ahronovits verhielt sich
weiterhin ablehnend. Derartige Aktionen wären nicht seine Aufgabe. Er könne uns nur 50 000
Ffr zur Verfügung stellen und dies wäre alles. Darüber hinaus müsse er mich auf die Tatsache
aufmerksam machen, , er sei im Besitze eines Telegrammes, demzufolge ich über keinerlei
Interventionsrecht beim Joint
verfüge, da ich nicht im Auftrag aller jüdischer Organisationen handelte, sondern
ausschliesslich im demjenigen meiner Orthodoxen Gemeinde.
Nun war ich erst recht aufgebracht. Ich fragte Ahronowits, wer denn die Absender des
Telegrammes seien und weshalb sie es nicht für nötig hielten, den bedrängten Flüchtlingen zur Hilfe zu eilen. Schliesslich handelt es sich ja um Juden
und es wäre mir völlig gleichgültig, welcher Organisation sie angehören. Ich habe mich nicht
um ihr Parteibuch gekümmert, weil es sich um eine Rettungsaktion handelte und ich ging dabei
erhebliche Risiken ein.
Da ich inzwischen die Fassung verloren und die Stimme erhoben hatte, liess mich Direktor
Ahronovits wortlos stehen und verliess
das Büro. Blum sah mich erschreckt und
fassungslos an. Ganz entsetzt fragt er, was nun wohl geschehen solle, wenn Ahronovits uns im Stich lässt. Voller Wut und
Empörung hoffte ich, mit diesem Herrn doch noch fertig werden zu können.
Wohl vom Lärm und der Aufregung alarmiert, betrat ein Herr seelenruhig das Büro, stellte
sich als Dr. Rosen, Vorsitzender des
Joint
vor und versuchte mich zu beruhigen., indem er sich bereit erklärt
hatte, unser Begehren anzuhören. Ich wiederholte nochmals die ganze Geschichte und betonte
erneut, ich sei nicht wegen der 50 000 Ffr gekommen, sondern wegen der benötigten
moralischen Hilfe.
Von nun an ging alles wie am Schnürchen. Dr.
Rosen war Hilfsbereit, meldete ein Blitzgespräch mit Fr. Schmolka nach Prag an und beauftragte sie,
aus Pressburg
sämtliche Informationen einzuholen und nachmittags nach Paris zu fliegen. Blum und ich wurden ersucht, am nächsten Morgen um 9
Uhr wieder in diesem Büro zu erscheinen. Etwas ruhiger verliessen wir das Joint
-Gebäude. [...] Wir fuhren zub Flughafen, um Frau Schmolka zu empfangen. Als wir ihr die Vorgänge
beim Joint
schilderten, war sie über das Verhalten des Direktors Ahronovits genauso empört wie wir. Sie sei jedoch
überzeugt, es werde sich eine positive Lösung finden. Übrigens hatte auch Gisi Fleischmann sie ersucht, den bedrängten
Juden unbedingt zu helfen.
Am nächsten Morgen waren wir wieder im Joint
-Gebäude. Frau Schmolka bestätigte meinen Bericht. In Vertretung des Joint
waren
Dr. Rosen und Direktor Ahronovits – nach wie vor völlig ablehnend –
erschienen. Ich bat darum, Direktor Ahronovits möge sich zurückziehen , denn wir seien auf mehr Mitgefühl
angewiesen, als er es aufzubringen vermochte. An seine Stelle wurde Professor Gurevits berufen, der uns bereits nach
einigen Minuten vollständig unterstützte. Er handelte spontan, nahm einen Wagen und fuhr mit
mir zu der französischen Rederei, wo er dem Generaldirektor unsere Bitte vortrug. Daraufhin
wurde die „Intercont“ in Pressburg verständigt, der Schlepper hätte so lange zu bleiben, wie dies als
nötig erscheint. Von da aus begaben wir uns zur Ungarischen Gesandtschaft.
Der Gesandte empfing uns persönlich, , rief gleich das Aussenministerium in Budapest an und
vermittelte die Bitte des Joint
, die
Fremdenpolizei zu veranlassen, den Schlepper dort zu belassen, bis die
Auswanderungsformalitäten erledigt seien. Zwei Stunden später war bereits die befriedigende
Antwort da: der Schlepper kann bleiben.
Wir waren alle glücklich. Dr. Rosen
umarmte mich und Frau Schmolka wollte
meinem Verhalten noch deutlicher Anerkennung zollen: sie küsste mich. Ich bat Dr. Rosen, meinem Versprechen gemäss, Major
Demény das Telegramm mit der entsprechenden
Auskunft zu schicken.
Dr. Rosen vertrat die Ansicht, alle
Organisationen – Hicem, Hias und
Jewish
Agency – müssten nun in Anspruch genommen werden, um die nötigen Zertifikate und
Immigrationsvisa zu besorgen. Frau Schmolka wurde ersucht, sich gleich nach Ragendorf zu begeben und ein
genaues Verzeichnis der Flüchtlinge aufzunehmen, mit allen nötigen Personalien.
Sicherheitshalber schlug ich vor, den judenfreundlichen CSR-Gesandten Osusky aufzusuchen, für den Fall, die Ungarn sollten dennoch
Schwierigkeiten bereiten. Blum blieb in
Paris und wir
begaben uns zu Osusky, der sich sofort
bereit erklärte, mit uns nach Prag zu fliegen.
Dr. Rosen dankte Frau Schmolka und mir für unsere Opferbereitschaft und
nahm von uns herzlich Abschied. Plötzlich betrat auch Direktor Ahronovits das Zimmer und versuchte sich zu
entschuldigen, er wäre eben unter dem Einfluss des Telegrammes gestanden... Er bot mir den
Ersatz der Reisespesen an, was ich dankend ablehnte.
Am nächsten Tag sprachen wir, zusammen mit Gesandten Osusky, beim Prager Aussenminister vor, der uns an den Ministerpräsidenten Hodza verwies.
Dieser lehnte unsere Bitte glatt ab.
Wir fuhren nun nach Pressburg uns führten dort mit Frau Fleischmann von der WIZO eine
Unterredung, der auch Frau Schmolka
beiwohnte. Zur Debatte stand ein Besuch in Ragendorf, wo der Schlepper
besichtigt und die nötigen Personalien der Flüchtlinge aufgenommen werden mussten. Die Aufgabe übernahmen die Damen Schmolka, Fleischmann, Reiss (eine Zahntechnikerin aus
Kadlburg), die
Herren Schwartz, Rosenthal und ich selbst.
Auf Antrag des Joint
wurde in Ragendorf mit den Leuten ein
genaues Protokoll über alle Vorfälle seit ihrer Vertreibung aufgenommen, die genauen Daten
registriert und abends fuhren wir nach Pressburg zurück. Frau
Schmolka veranlasste für den nächsten
Tag ein Treffen der Vertreter von WIZO,
Hicem und Hias im
Hotel Carlton, zu dem auch ich eingeladen wurde. Frau Schmolka berichtete ausführlich und schlug vor,
mich als vollberechtigtes Mitglied in die Hicem-Leitung
aufzunehmen. Ich nahm dankend an, ohne zu wissen, welche Aufgaben damit in den
bevorstehenden schweren Zeiten verbunden sein werden.
Ich begab mich nach Wiselburg zu Major Demény.
Ich wollte ihn natürlich nicht ausser Acht lassen und so erstattete ich ihm einen Bericht,
stellte einige Wünsche und bekam sie bewilligt. Es handelte sich darum, den Leuten tagsüber
den Aufenthalt in einem kleinen Wald am Donauufer zu bewilligen , der mit Stacheldraht
umzäunt werden sollte. Ferner wurden Zeitungen, Bücher und Korrespondenz bewilligt.
Max Weiss durfte täglich Lebensmittel und frische Speisen
bringen. Nach etwa vier Wochen war aber die kleine Ragendorfer Gemeinde
finanziell erschöpft. Ich musste die Brüder Lewin, die Brüder Spuller, Silberberg, Max Weiss und Deutsch veranlassen, um dort zumindest die Lebensmittelkosten zu sichern.
Tatsächlich deckten die Judengemeinden von Györ, Wieselburg,
Komárno,
Szombathely
und Sárvár alle
Unkosten. Schliesslich mussten ja auch die Wachen bezahlt werden und es gab noch eine Reihe
anderer Ausgaben. Darüber hinaus musste erreicht werden, dass der alte Rabbiner und seine
Frau, sowie die alte Frau Zopf – sämtlich über 90 Jahre alt – als krank anerkannt und mit
polizeilicher Genehmigung ins Jüdische Spital nach Pressburg überführt
werden. Dies geschah und zuletzt wurden der Rabbiner und seine Frau im Altersheim von Topolcany untergebracht. Frau Zopf erholte sich nicht mehr von
ihrer Krankheit und starb im Spital. Sie wurde auf dem orthodoxen Friedhof zur letzten Ruhe
bestattet.
Nach etwa drei Monaten liefen die Visa,
Einreisegenehmigungen und sogar einige Zertifikate ein. Der Budapester Joint
hatte
für die nötigen Reisedokumente gesorgt. Die Flüchtlinge wurden vom Schlepper geholt und auf Lastwagen, von Deutsch und einigen Grenzwächtern begleitet, nach
Budapest befördert. Dort wurden sie in einem Hotel untergebracht, ein Polizeibeamter stellte
unter Hicem-Mitwirkung die Pässe aus, Joint
versah
sie alle mit der nötigen Kleidung und Wäsche und wenige Tage später reisten die Leute in
alle Windrichtungen.