Flucht
Die erste Station war Wiener Neustadt, wo mein Onkel Michael lebte. Es muss um Pessach gewesen sein, denn Pessach feierten wir dort. Die Juden wurden aus
Wiener
Neustadt nicht so früh vertrieben wie aus Lackenbach. Innerhalb
von zwei Wochen mussten wir auch Wiener Neustadt
verlassen. Wir wussten, dass es dort nicht viel sicherer war als in Lackenbach. Onkel Tobias
lebte in Prag, er
war dort Rabbiner. Wir
wollten daher in die Tschechoslowakei. In der Zwischenzeit war mein Vater nach Wien gefahren, um Visa von der Botschaft der
Tschechoslowakei zu besorgen. Dort war eine lange Schlange angestellt. Vater
dachte, dass das keinen Sinn hätte, er würde nie Visa bekommen.
Dann traf er den jüngsten Bruder meiner Mutter, Onkel Rafi. Dieser kannte ein Kindermädchen
des tschechischen Konsuls. Er sprach mit ihr und so bekamen wir Visa für die Tschechoslowakei. Kurze Zeit waren wir dann in Mies in dessen der
Tschechoslowakei, wo Tante Norah und Onkel Bernhard, die Schwester meiner
Mutter und ihr Mann, lebten. Er war Rabbiner von
Mies. Wir lebten
ungefähr sechs Monate in der Tschechoslowakei.
Ich war sechs Jahre alt und bedanken Prag mit der Schule. Es war eine deutschsprachige Schule. Die
meisten der Schüler waren jüdisch, Kinder,
die vor den Nazis geflüchtet waren. Ich erinnere mich noch, dass mich die anderen Kinder
fragten: „Bist du legal oder illegal?“ Und ich wusste nicht, was sie meinten. So fragte ich
meine Mutter: „Mami, sind wir legal oder illegal?“ Wir waren legal, weil wir ja Visa hatten, aber viele Leute waren ohne Papiere über die
Grenze gekommen. Was ich zu dieser Zeit genau fühlte, weiß ich nicht mehr. Ich war
verstört wegen der ständigen Umstellungen, machte mir aber keine Sorgen über mein Leben. Ich
verstand damals sicher nicht, dass wir in Lebensgefahr waren. Aber ich war verunsichert,
weil wir von einem Ort zum nächsten ziehen mussten, und ich war unglücklich.