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Erinnerung Aron Grünhuts über die Hilfeleistung für die vertriebenen burgenländischen Jüdinnen und Juden

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[...]Der Abschnitt der Erinnerungen beginnt mit der Schilderung antijüdischer Ausschreitungen in Österreich während des Anschusses und der geglückten Hilfeleistung in Form der Beförderung von vertriebenen Jüdinnen und Juden aus Frauenkirchen über die Donau. Kurz darauf wusste ich, dass es keine Einzelaktionen war. Denn kaum vier Wochen später, am ersten Morgen das Pessachfestes 1938, kam der Sekretär der Pressburger Jeschiwa, Fettmann, im Auftrage des Rabbiner Wessely zu mir, Ich möge mich dringend zum Rabbiner begeben. Dort befand sich bereits der Pressburger Fleischer Max Lustig, der soeben mit dem Fahrrad aus Theben-Neudorf angekommen war und zu berichten wusste, dass sich auf der Keschmarkinsel auf der Donau rund 100 Juden aus Kittsee (Burgenland) befinden, darunter auch der alte, 90jährige Rabbiner Perls mit seiner Frau. Die Gendarmen bewachten den Ort, damit sie jede Infiltration in die Slowakei verhinderten.

Rabbiner Wessely wollte mich veranlassen, mit einem Taxi zur Stelle zu fahren. Ich bat Fettmann, den in der Nähe wohnenden Gemeindesekretär Eichner herbeizuholen, damit wir gemeinsam die Situation erkunden. Mit einem Taxi am Schauplatz eingetroffen, bot sich uns ein schauerliches Bild. Auf meinen Vorschlag hin fuhren wir zum Polizeidirektor Dr. Jusko, erörterten mit diesem das Problem, doch er wollte ohne Zustimmung übergeordneter Stellen nichts unternehmen. Der Einlass dieser Juden ohne Grenzpassierscheinen könnte ihn seinen Posten kosten. Immerhin gab er unserem Drängen nach und erlaubte uns die Flüchtlinge unter Polizeibewachung ins Polizeigewahrsam in der Landstrasse 7-9 zu überführen. Die Flüchtlinge berichteten, sie seien buchstäblich vom Sedertisch in bereitstehende Lastautos getrieben worden, ohne auch nur etwas Kleidung oder Nahrung mitnehmen zu dürfen und auf der Donauinsel ausgesetzt worden.

Inzwischen hatten Rachel Unreich und einige brave, koschere Hausfrauen, in grossen Töpfen Speisen eingesammelt, die jüdische Gemeinde stellt Mazzoth zur Verfügung und die armen Opfer nazistischer Willkür kamen zu ihrer ersten Mahlzeit.

Polizeidirektor Dr. Jusko nahm mit dem Innenminister in Prag Kontakt auf, doch die Aufnahme der Juden wurde abgelehnt und ihr Rücktransport nach Österreich angeordnet. Die Tschechoslowakei, lautete die Antwort aus Prag, hätte bereits genug Juden. Immerhin räumte uns Dr. Jusko die Möglichkeit weiterer Interventionen ein. Eine Reihe von Männern, wie Dr. Julius Reiss, Dr. Moritz Fleischhacker, Ludwig Mayer und Heinrich Schwartz schalteten sich ein, man nahm die Minister Hodza und Dérer in Prag in Anspruch, aber ohne Erfolg.

Während Jüdische Frauen in aller Eine Kleidungsstücke gesammelt hatten, eilte ich zu dem Schwiegersohn des stets hilfsbereiten Albert Gestettner, einem gewissen Herrn Popper. So erreichte ich, dass man uns den Hof Antonienhof im slowakisch-ungarisch-österreichischen Dreieck zu Verfügung stellte, wo für die rund hundert Menschen in einem Heuschober das Nachtlager vorbereitet wurde. Nach zweitägigem Aufenthalt im Pressburger Polizeigewahrsam wurden die Leute nachts ins Niemandsland Antonienhof befördert. Dudi Rosenberger fuhr mich mit seinem Wagen hin, um nachsehen zu können, wo die Leute untergebracht werden, aber die Grenzwache bemerkte mein Vorhaben und die Wachposten wurden daraufhin verstärkt.

Wiederum fiel mir Dr. Ördög in Kadlburg ein. Tatsächlich fuhr ich am nächsten Tag in Begleitung Sterns zu ihm und erbat seine Hilfe. Doch diesmal ging es nicht mehr so glatt, denn inzwischen hatte sich auch der Gendarmeriemajor Demény aus Wieselburg eingeschaltet. Dr. Ördög hatte mich an ihn verwiesen und sollte ich dessen Einwilligung einholen, würde er selbst keine Einwände erheben.

So begann denn wiederum die unweigerliche Hin- und Herfahrt, der unausbleibliche Nervenkitzel und wieder standen wir einem Mann gegenüber, der unseren Bitten kein Gehör schenken wollte. Meine Absicht war es, die Flüchtlinge nach Kadlburg zu bringen, von wo ich sie fortschaffen würde. Für Popper war es nämlich unmöglich geworden, die weiterhin in Antonienhof zu behalten.

Als ich schliesslich immer wieder beteuerte, die Leute aus Kadlburg fortzuschaffen, war der Major bereits etwas zuvorkommender und erteilte die Bewilligung, den ungebetenen Gästen in Kadlburg einen Stall zur Nächtigung zu Verfügung zu stellen. Noch in derselben Nacht fuhr ich mit den Gendarmen zu Antonienhof, um die Überführung vorzunehmen. Die Gendarmen waren gegenüber den Flüchtlingen von solcher Brutalität, dass ich ihnen mit einer Anzeige drohen musste. Da die Aktion mit Zustimmung von Major Demény erfolgt, hätten sie kein Recht die schuldlosen Menschen zu misshandeln und zu erniedrigen.

Nachdem die Leute in einem Kadlburger Stall unte[rge]kommen waren, setzte ich die Verhandlungen mit Dr. Ördög fort. Er erklärte sich mit der sukzessiven Überführung von je 25 Menschen über die Donau nach Ragendorf einverstanden, sofern ich auch Major Deménys Zustimmung eingeholt habe. Aber der Major wollte von einem sukzessiven Abtransport nichts wissen. Ich habe alle Leute gleichzeitig fortzuschaffen.

Aber inzwischen kam von Feigenbaum aus Gutor die Nachricht, dass auf diesem Wege nichts mehr zu machen sei. So unterbreitete ich dem Major einen anderen Vorschlag: ich werde nach Pressburg fahren, ein Schiff besorgen, alle Menschen auf einmal verschiffen und solange auf Wasser bleiben, bis wir in der Slowakei einreisen dürfen.

Major Demény wurde ungehalten: Nehmen Sie zur Kenntnis, Herr Grünhut, dass wir kein Transitlager für illegal eingeschleuste Juden sind. So geht es auf die Dauer keineswegs. Sie bringen uns immer wieder ganze jüdische Gruppen auf den Hals und müssen sich Ihre Zusagen rechtzeitig wohl überlegen, denn an diese haben Sie sich unbedingt zu halten. Darüber hinaus müssen Sie sich die Einwilligung des KEOKH einholen, ohne der ich die gesamte Aktion nicht gestatten kann. Mit diesen Worten verliess mich der Major.

So schnell ich nur konnte, begab ich mich nach Budapest zu Kahan Frankl. Wiederum wurde Dr. Rainer in Anspruch genommen. Wir erbaten vom Fremdenpolizeichef Akos Amon Pasztoi die entsprechende Bewilligung und er verständigte hiervon Major Demény. Der Major und Hauptmann Dr. Ördög hatten nun den Auftrag, die Leute in Kadlburg zu lassen, wo sie bis zur Einschiffung von den Rajker Juden Weiss, Spuller und Lewin mit den nötigen Lebensmitteln versorgt wurden.

Für den Augenblick wäre also alles geregelt. Ich fuhr nach Pressburg zurück, um zusammen mit Sigi Felsenberg den Intercont“-Generaldirektor Dr. Munk aufzusuchen und seine Hilfe zu erbitten. Dessen Prokuristen Jellinek und Reichsfeld teilten uns mit, dass im Winterhafen ein französischer Schlepper und das Schlepperschiff Zürich stünden. Man könnte diese beiden Schiffe zusammentun, um den Flüchtlingen in Kadlburg zu helfen.

Noch am gleichen Tage wurden bei Schmule Weiss mit Zustimmung des Vorstandes der Orth. Gemeinde hundert Strohsäcke, Kopfpölster, Laken und Decken besorgt, 100 Ballen Stroh wurden zum Winterhafen befördert und mit Hilfe einiger junger Leute verladen. Jellinek nahm die Zürich und den französischen Schlepper an sich und ich hatte mich mit Stern bis zum Grenzstein 1010 zu begeben, wo die Leute bereits zu warten hatten. Stern und ich standen schon am Ufer des ungarischen Rajka, als das Schiff ankam. Wir hatten volle Hände mit Arbeit, um den Schlepper an Bäumen zu befestigen, aus Brettern einen Steg zu improvisieren und die Einschiffung zu organisieren. Die Matrosen lösten die Stricke vom Schlepper und fuhren davon. Stern und ich blieben ziemlich ratlos am Ufer stehen.

In diesem Augenblick war denn auch Major Demény am Schauplatz erschienen, um hier Umschau zu halten. Als er en Schlepper ohne Schiff erblickte, schrie er mich an: Die Leute sind jetzt in Ungarn. Wo ist das Schiff, das diesen Schlepper fortschafft? Ich versuchte mich zu entschuldigen, der Schiffskapitän hätte mich im Stich gelassen und sei von den Ereignissen selber vor den Kopf gestossen. Major Demény beschimpfte mich einen Lügner und Betrüger. Er werde jetzt die Leute vom Schlepper zurückholen und nach Österreich zurückbefördern lassen. Dem anwesenden Gendarmen und dessen Gehilfen gab er den Befehl, mich in Ketten zu legen und zur Gendarmeriestation nach Wieselburg zu befördern.

Ich wurde in Stern Wagen abgeführt, der Schlepper mit den Leuten blieb vorderhand dort und die Juden aus Rajka brachten mit Max Weiss das vorbereitete Essen. In Wieselburg begab sich nun Stern zu einer bekannten jüdischen Weinbrandfirma, um einen gewissen Herrn Deutsch zu einer Intervention zu meinen Gunsten zu veranlassen. Doch Major Demény war an Ort und Stelle, die Intervention blieb nutzlos. Ich wurde in eine kalte Zelle gesteckt, bekam natürlich kein Essen und konnte nur die kommenden Ereignisse abwarten.

Etwa um ein Uhr nachts wurden mir endlich die Ketten abgenommen und ich wurde dem Major vorgeführt. Er liess mir eine Tasse schwarzen Kaffees und ein Stück Brot geben und begann mit dem Verhör. Er fragte mich, wie ich mir die schleunigste Fortschaffung der Leute von der Donau vorstelle. Ich erwiderte, als Gefangener nichts unternehmen zu können und der einzige zu sein, der den Vorfall liquidieren könne. Ich wagte sogar dem Vorschlag zu machen, der Major möge mich freilassen und ich werde mich sofort zum Joint nach Paris begeben, wo ich über die besten Beziehungen verfüge.

Beim Wort American Joint horchte der Major auf und überlegte intensiv die Lage. Ich verpfändete mein Ehrenwort, die Juden auf dem Schiff niemals im Stich zu lassen und aus Paris die nötigen Gelder herbeizuschaffen, um deren Auswanderung zu gewährleisten. Deutsch übernahm für mich die Garantie dafür, dass diese Zusagen erfüllt werden.

Plötzlich wurde der Major persönlich. In vertrauten Ton stellte er die Frage, ob ich bereit wäre, zu seiner Schwester nach Kalna (einem Ort neben der slowakischen Stadt Levice) zu fahren und ihr 5000 Kronen zu geben. Sie sei nämlich von den Slowaken ihres Postens als Lehrerin enthoben und ohne Abfertigung und Pensionsrecht entlassen worden. Ich versprach, der Major werde bis zum nächsten Abend die schriftliche Bestätigung seiner Schwester über den Empfang des Geldes in den Händen haben.

Um vier Uhr früh fuhr ich mit Stern in Begleitung von Gendarmen zur Grenze, die zu veranlassen hatten, dass mich die Grenzwache noch vor 6 Uhr morgens durchlässt. In Pressburg eingetroffen, rief ich Präses Pappenheim an und kündigte mich für 8 Uhr früh in der orth. Gemeindekanzlei an. Pappenheim kam in die Kanzlei, folgte mir die 5000 Kronen aus, ich fuhr mit einem Taxi nach Kalna, übergab das Geld und konnte noch am Nachmittag dem Major einen ausführlichen Brief von seiner Schwester überreichen. Daraufhin gab mir Major Demény eine Frist von 10 Tagen, um nach Paris zu fahren und die Sache zu regeln. Ich sollte ihn über das Ergebnis meiner Pariser Gespräche von dort aus telegrafisch verständigen.

Am Abend erstattete ich dem Gemeindevorstand in Pressburg Bericht. Präses Pappenheim beauftragte Josef Blum von der Jüdischen Kreditgenossenschaft, einen Vertrauensmann des Joint, mit mir nach Paris zu reisen, um eine schnelle Erledigung der Sache zu gewährleisten.

Ich verfügte über ein ständiges Visum nach Frankreich, Josef Blum besorgte sich dieses sofort und am Abend waren wir bereits nach Prag unterwegs, um von dort aus nach Paris zu fliegen. Während eines etwa dreistündigen Prager Zwischenaufenthaltes suchten wir die Joint-Beauftragte für die CSR, Frau Schmolka, auf und informierten sie eingehend über den fall der burgenländischen Juden. Sie rief telefonisch Gisi Fleischmann in Pressburg an und bekam bestätigt, dass sich 100 vertriebene burgenländische Juden und ihr greiser Rabbiner unter menschenunwürdigen Verhältnissen auf dem Schlepper befinden.

Am nächsten Tag waren wir im Pariser Joint-Gebäude erschienen und zu einem Herrn Ahronovits vorgelassen. Ich stelle mich als Vizepräsident der Orth.-Israelitischen Kultusgemeinde von Pressburg vor, erzählte wiederum genau die Geschichte der 100 burgenländischen Juden auf dem Donauschlepper und schilderte die uns allen drohenden Gefahren, falls nicht innerhalb weniger Tage Abhilfe geschaffen werde. Die Flüchtlinge würden unweigerlich nach Österreich zurückgestellt und dem sicheren Tod ausgesetzt sein.

Direktor Ahronovits fiel mir ungeduldig ins Wort: Was wollen Sie von uns, eine moralische Hilfe? Hier können wir Ihnen höchstens 50 000 Ffr als eine Art Unterstützung geben, mehr können wir für Sie nicht tun.

Innerlich über so viel Unverständnis aufgebracht, aber nach aussenhin gelassen, erwiderte ich, keineswegs um Almosen zu bitten, denn das nötige Geld könne auch von unseren Gemeindemitgliedern aufgebracht werden. Vielmehr verlangte ich eine moralische Hilfe des Joint. Ich führte des weiteren aus, man müsse bei der französischen Schiffahrtsgesellschaft , der der Schlepper gehört, intervenieren und erreichen, dass es uns ohne Standgeld solange überlassen bleibt, bis die Leute fortgeschafft werden können. Ansonsten müsse Intercont dafür aufkommen. Ferner müsste bei der Ungarischen Gesandtschaft vorgesprochen werden, um das Aussenministerium in Budapest zu veranslassen, der KEOKH eine Anweisung ergehen zu lassen, den Schlepper solange in Ragendorf ankern zu lassen, bis die Insassen anderswo untergebracht werden können. Im Falle einer ungarischen Weigerung müsste der tschechoslowakische Gesandte Osusky ersucht werden, eine tschechoslowakische Bewilligung zu verschaffen. Auch die Jewish Agency, Hicem und Hias sollten eingeschaltet werden, um eine schnelle und positive Lösung zu finden.

Direktor Ahronovits verhielt sich weiterhin ablehnend. Derartige Aktionen wären nicht seine Aufgabe. Er könne uns nur 50 000 Ffr zur Verfügung stellen und dies wäre alles. Darüber hinaus müsse er mich auf die Tatsache aufmerksam machen, , er sei im Besitze eines Telegrammes, demzufolge ich über keinerlei Interventionsrecht beim Joint verfüge, da ich nicht im Auftrag aller jüdischer Organisationen handelte, sondern ausschliesslich im demjenigen meiner Orthodoxen Gemeinde.

Nun war ich erst recht aufgebracht. Ich fragte Ahronowits, wer denn die Absender des Telegrammes seien und weshalb sie es nicht für nötig hielten, den bedrängten Flüchtlingen zur Hilfe zu eilen. Schliesslich handelt es sich ja um Juden und es wäre mir völlig gleichgültig, welcher Organisation sie angehören. Ich habe mich nicht um ihr Parteibuch gekümmert, weil es sich um eine Rettungsaktion handelte und ich ging dabei erhebliche Risiken ein.

Da ich inzwischen die Fassung verloren und die Stimme erhoben hatte, liess mich Direktor Ahronovits wortlos stehen und verliess das Büro. Blum sah mich erschreckt und fassungslos an. Ganz entsetzt fragt er, was nun wohl geschehen solle, wenn Ahronovits uns im Stich lässt. Voller Wut und Empörung hoffte ich, mit diesem Herrn doch noch fertig werden zu können.

Wohl vom Lärm und der Aufregung alarmiert, betrat ein Herr seelenruhig das Büro, stellte sich als Dr. Rosen, Vorsitzender des Joint vor und versuchte mich zu beruhigen., indem er sich bereit erklärt hatte, unser Begehren anzuhören. Ich wiederholte nochmals die ganze Geschichte und betonte erneut, ich sei nicht wegen der 50 000 Ffr gekommen, sondern wegen der benötigten moralischen Hilfe.

Von nun an ging alles wie am Schnürchen. Dr. Rosen war Hilfsbereit, meldete ein Blitzgespräch mit Fr. Schmolka nach Prag an und beauftragte sie, aus Pressburg sämtliche Informationen einzuholen und nachmittags nach Paris zu fliegen. Blum und ich wurden ersucht, am nächsten Morgen um 9 Uhr wieder in diesem Büro zu erscheinen. Etwas ruhiger verliessen wir das Joint-Gebäude. [...] Wir fuhren zub Flughafen, um Frau Schmolka zu empfangen. Als wir ihr die Vorgänge beim Joint schilderten, war sie über das Verhalten des Direktors Ahronovits genauso empört wie wir. Sie sei jedoch überzeugt, es werde sich eine positive Lösung finden. Übrigens hatte auch Gisi Fleischmann sie ersucht, den bedrängten Juden unbedingt zu helfen.

Am nächsten Morgen waren wir wieder im Joint-Gebäude. Frau Schmolka bestätigte meinen Bericht. In Vertretung des Joint waren Dr. Rosen und Direktor Ahronovits nach wie vor völlig ablehnend erschienen. Ich bat darum, Direktor Ahronovits möge sich zurückziehen , denn wir seien auf mehr Mitgefühl angewiesen, als er es aufzubringen vermochte. An seine Stelle wurde Professor Gurevits berufen, der uns bereits nach einigen Minuten vollständig unterstützte. Er handelte spontan, nahm einen Wagen und fuhr mit mir zu der französischen Rederei, wo er dem Generaldirektor unsere Bitte vortrug. Daraufhin wurde die Intercont in Pressburg verständigt, der Schlepper hätte so lange zu bleiben, wie dies als nötig erscheint. Von da aus begaben wir uns zur Ungarischen Gesandtschaft. Der Gesandte empfing uns persönlich, , rief gleich das Aussenministerium in Budapest an und vermittelte die Bitte des Joint, die Fremdenpolizei zu veranlassen, den Schlepper dort zu belassen, bis die Auswanderungsformalitäten erledigt seien. Zwei Stunden später war bereits die befriedigende Antwort da: der Schlepper kann bleiben.

Wir waren alle glücklich. Dr. Rosen umarmte mich und Frau Schmolka wollte meinem Verhalten noch deutlicher Anerkennung zollen: sie küsste mich. Ich bat Dr. Rosen, meinem Versprechen gemäss, Major Demény das Telegramm mit der entsprechenden Auskunft zu schicken.

Dr. Rosen vertrat die Ansicht, alle Organisationen Hicem, Hias und Jewish Agency müssten nun in Anspruch genommen werden, um die nötigen Zertifikate und Immigrationsvisa zu besorgen. Frau Schmolka wurde ersucht, sich gleich nach Ragendorf zu begeben und ein genaues Verzeichnis der Flüchtlinge aufzunehmen, mit allen nötigen Personalien. Sicherheitshalber schlug ich vor, den judenfreundlichen CSR-Gesandten Osusky aufzusuchen, für den Fall, die Ungarn sollten dennoch Schwierigkeiten bereiten. Blum blieb in Paris und wir begaben uns zu Osusky, der sich sofort bereit erklärte, mit uns nach Prag zu fliegen.

Dr. Rosen dankte Frau Schmolka und mir für unsere Opferbereitschaft und nahm von uns herzlich Abschied. Plötzlich betrat auch Direktor Ahronovits das Zimmer und versuchte sich zu entschuldigen, er wäre eben unter dem Einfluss des Telegrammes gestanden... Er bot mir den Ersatz der Reisespesen an, was ich dankend ablehnte.

Am nächsten Tag sprachen wir, zusammen mit Gesandten Osusky, beim Prager Aussenminister vor, der uns an den Ministerpräsidenten Hodza verwies. Dieser lehnte unsere Bitte glatt ab.

Wir fuhren nun nach Pressburg uns führten dort mit Frau Fleischmann von der WIZO eine Unterredung, der auch Frau Schmolka beiwohnte. Zur Debatte stand ein Besuch in Ragendorf, wo der Schlepper besichtigt und die nötigen Personalien der Flüchtlinge aufgenommen werden mussten. Die Aufgabe übernahmen die Damen Schmolka, Fleischmann, Reiss (eine Zahntechnikerin aus Kadlburg), die Herren Schwartz, Rosenthal und ich selbst.

Auf Antrag des Joint wurde in Ragendorf mit den Leuten ein genaues Protokoll über alle Vorfälle seit ihrer Vertreibung aufgenommen, die genauen Daten registriert und abends fuhren wir nach Pressburg zurück. Frau Schmolka veranlasste für den nächsten Tag ein Treffen der Vertreter von WIZO, Hicem und Hias im Hotel Carlton, zu dem auch ich eingeladen wurde. Frau Schmolka berichtete ausführlich und schlug vor, mich als vollberechtigtes Mitglied in die Hicem-Leitung aufzunehmen. Ich nahm dankend an, ohne zu wissen, welche Aufgaben damit in den bevorstehenden schweren Zeiten verbunden sein werden.

Ich begab mich nach Wiselburg zu Major Demény. Ich wollte ihn natürlich nicht ausser Acht lassen und so erstattete ich ihm einen Bericht, stellte einige Wünsche und bekam sie bewilligt. Es handelte sich darum, den Leuten tagsüber den Aufenthalt in einem kleinen Wald am Donauufer zu bewilligen , der mit Stacheldraht umzäunt werden sollte. Ferner wurden Zeitungen, Bücher und Korrespondenz bewilligt. Max Weiss durfte täglich Lebensmittel und frische Speisen bringen. Nach etwa vier Wochen war aber die kleine Ragendorfer Gemeinde finanziell erschöpft. Ich musste die Brüder Lewin, die Brüder Spuller, Silberberg, Max Weiss und Deutsch veranlassen, um dort zumindest die Lebensmittelkosten zu sichern.

Tatsächlich deckten die Judengemeinden von Györ, Wieselburg, Komárno, Szombathely und Sárvár alle Unkosten. Schliesslich mussten ja auch die Wachen bezahlt werden und es gab noch eine Reihe anderer Ausgaben. Darüber hinaus musste erreicht werden, dass der alte Rabbiner und seine Frau, sowie die alte Frau Zopf sämtlich über 90 Jahre alt als krank anerkannt und mit polizeilicher Genehmigung ins Jüdische Spital nach Pressburg überführt werden. Dies geschah und zuletzt wurden der Rabbiner und seine Frau im Altersheim von Topolcany untergebracht. Frau Zopf erholte sich nicht mehr von ihrer Krankheit und starb im Spital. Sie wurde auf dem orthodoxen Friedhof zur letzten Ruhe bestattet.

Nach etwa drei Monaten liefen die Visa, Einreisegenehmigungen und sogar einige Zertifikate ein. Der Budapester Joint hatte für die nötigen Reisedokumente gesorgt. Die Flüchtlinge wurden vom Schlepper geholt und auf Lastwagen, von Deutsch und einigen Grenzwächtern begleitet, nach Budapest befördert. Dort wurden sie in einem Hotel untergebracht, ein Polizeibeamter stellte unter Hicem-Mitwirkung die Pässe aus, Joint versah sie alle mit der nötigen Kleidung und Wäsche und wenige Tage später reisten die Leute in alle Windrichtungen.


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