Ausweisung der tschechoslov. Staatsangehörigen.
An das Amt des
Reichsstatthalters in WIEN .
Die massenhaft eingeleiteten Ausweisungsverfahren gegen die cechoslov.
Staatsangehörigen werden von den Polizeibehörden in Wien in der Weise durchgeführt, dass den Betroffenen aufgetragen wird,
unverzüglich oder binnen 8 Tagen, in ausserordentlichen Fällen 2 Wochen, das Land zu
verlassen. Diese Praxis wird rücksichtslos geübt, wenn auch den Behörden bekannt sein muss,
dass nach den hier geltenden Vorschriften zur Liquidierung der Vermögenschaften, der
Geschäfte, die viele Cechoslovaken hier besitzen, ferner zur Überführung der
Wohnungseinrichtungen, wozu verschiedene Dokumente und amtliche Bewilligungen verschafft
werden müssen, wenigstens eine sechswöchige Frist notwendig ist. Es handelt sich hiebei um
kleinere Existenzen, die, wenn ihnen die notwendige Zeitspanne nicht bewilligt wird, auf den
Bettelstab gebracht werden, da sie dadurch, dass sie hier geboren sind und hier immer gelebt
haben, vollständig den Kontakt mit ihrer Heimat verloren haben.
Es sind dabei auch Leute, die zwar bisher Dokumente über ihre cechoslovakische
Staatsbürgerschaft besitzen, deren Echtheit ausser jedem Zweifel
steht, die aber in einer durch Deutschland okkupierten und innerhalb der künftigen deutschen Grenzen liegenden Gemeinde beheimatet sind und wenig oder überhaupt
keine Hoffnung haben, cechoslovakische
Staatsbürgerschaft erlangen zu können.
Das Generalkonsulat
der Cechoslovakischen
Republik in Wien beehrt sich die Aufmerksamkeit des verehrt. Amtes darauf zu
lenken, dass die von der Polizeidirektion geübte Ausweisungspraxis nicht nur im allgemeinen alle
Merkmale der Verletzungen der Grundsätze des modernen Völkerrechtes trägt, sondern und
hauptsächlich auch den Bestimmungen des Art. I des zwischen der Cechoslovakei
und
Deutschem Reiche abgeschlossenen Vertrages vom 20.
Jänner 1922, Nr. 130/24, über den gesetzlichen und gerichtlichen Schutz der
Personen und Eigentums der cechoslovakischen
Staatsangehörigen auf Grund der Reziprozität, sowie des Art. X. des wirtschaftlichen
cechoslovakisch-deutschen Abkommens vom 29.4.1920 über
grundsätzliche Behandlung der cechoslovakischen
Staatsangehörigen nach dem Grundsatze der Meistbegünstigung, in Widerspruch steht.
Die Behandlung der cechoslovakisch-österreichischen Handelsvertrages vom 4.5.1921, deren provisorische Geltung durch Art. II. des Reichsgesetzes vom 13. März 1938, RGBl. 1, pag. 247, über den Anschluss Österreichs,
ferner durch die Kundmachung des Reichsstatthalters Nr. 27/38, LGBl. bestätigt wurde.
In einem einzigen Tage meldeten sich beim Generalkonsulate der
Cechoslovakischen
Republik in Wien folgende cechoslovakische
Staatsangehörigen, die kurzfristig ausgewiesen wurden und denen man keine Zeit zu lassen
geneigt ist, um ihre Angelegenheiten zu ordnen:
- Helene ABDELA, II.
Taborstrasse 20 a.
Charlotte LIPNER, II., Zirkusgasse 27, die um eine 70 Jahre alte
und kranke Mutter zu sorgen hat,
- Ida u.
Branka MIRALY, II., Grosse Pfarrgasse
8.
Ernestine HUMBURGER, II., Alliiertenstrasse 16, die von der
Kranken-Angestellten-Kassa für eine Lungenheilstätte vorgeschlagen wurde,
- Hermine HUSSERLE, III.
Barichgasse 2.
Olga HIRSCHL, II., Ferdinandstrasse 28.
Hugo und Regine ROSENBAUM, II. Praterstrasse
58.
David REICHENBACH, Eigentümer eines Tuchgeschäftes, II.
Josefinengasse 6.
Karoline NOVAKOVA, XIX., Budinskygasse 18
- Franziska HIRSCHBERGER, II.,Obere Donaustrasse 63 die eine blinde
und seit Jahren an das Bett gefesselte 89 jährige Mutter zu pflegen hat.
Ausserdem meldeten sich viele, die erklärt haben, in der der ihnen angegebenen Frist auswandern zu wollen.
Das Generalkonsulat der cechoslovakischen
Republik in Wien beehrt sich neuerlich dringendst zu ersuchen, dahin wirken
zu wollen, dass die oben angeführten Gründe in Erwägung gezogen werden und die Prozedur bei
Ausweisungen der cechoslovakischen Staatsangehörigen insoweit gemildert wird, als ihnen zur
Regelung ihrer geschäftlichen und Übersiedlungsangelegenheiten notwendige Zeitspanne von
längstens 3 Monaten bewilligt wird.
Der Generalkonsul