Niemandsmenschen
zu Wasser gelassen und dem Tod überlassen
Die Vernichtung des Schiffs der Ausgestoßenen.
Rostiger
Flüchtlingskahn vom Ufer abgetrieben.
Am 1865. Kilometer der Donau, unweit der Theben-Flussschleife bei Pressburg, ankert schon
seit 4 Monaten ein altes Frachtschiff am ungarischen Ufer. Es ist ein
Gefängnis für siebenundvierzig Niemandsmenschen
, die einige Tage nach dem österreichischen Anschluss
vom neuen Gebiet des Dritten Reichs ausgewiesen wurden. Es handelt sich um Männer,
Frauen und Kinder
unterschiedlichsten Alters. Sechsundvierzig Juden
und eine Christin, die Ehefrau eines Zahnarztes aus dem kleinen österreichischen Städtchen
Kittsee.
Ursprünglich waren 57 Flüchtlinge an Bord dieses halb verrosteten Frachtkahns. Von den
schrecklichen Strapazen wurden zehn, davon sieben Frauen und drei Männer,
durch den Tod erlöst. Während der heißen Tage wurden die eisernen Platten des Verdecks so
durchgeglüht, dass die von der Gluthitze aufgestachelten Flüchtlinge in den Wahnsinn getrieben wurden. Es war nicht möglich, das Verdeck zu
betreten. Die Glut verbrannte die dürftigen Schuhüberreste, die
diese Elenden tragen. Nun sollen sie auch dieser letzten Zuflucht beraubt werden, die weder
zum Tod noch zum Leben reicht. Ungarische
Behörden kündigten der Besatzung des schwimmenden Ghettos
an, dass
sie ihre Gegenwart nur noch bis zum 1. September dulden
werden. Mittags wird angeblich die mürbe Ankerleine am Schiff durchschnitten und das Schiff
auf die Donau gelassen, auf
dass es schwimme, wie und wohin es will. Wahrscheinlich wird es ein Weg in den Tod.
Nach der Bekanntmachung dieser Ankündigung trafen sich die Unglücklichen an Deck und
schworen einträchtig, dass sie lieber durch Selbstmord enden
wollen. Danach beteten alle gemeinsam.
Die vier Monate dieser Haft waren Tage schrecklicher Qualen und Strapazen. Kurz nach dem
Anschluss wurden sie heimlich von Stoßtruppen auf unser Gebiet
gebracht. Unsere
Behörden konnten ihnen kein Asyl gewähren, und darum begrüßten sie den Vorschlag
des französischen Kapitäns, der gerade mit einem Motorboot im Hafen ankerte, den
Elenden einen Schleppkahn zu leihen und sie hinter Theben zu verankern. Später
wurden sie auf ein ungarisches Schiff gebracht. Nach längeren Verhandlungen willigten die
ungarischen
Behörden ein, nachdem sich die Vertreter der Pressburger
Glaubensgemeinde verbürgt hatten, dass sie ihren Glaubensgenossen Dokumente für
die Reise nach Übersee beschaffen würden. Die Juden
lebten auf dem alten rostigen Schiff wie in einem Gefängnis. Sie durften nicht vom Schiff
und waren auf Barmherzigkeit angewiesen. In den vier Monaten dieser Galeere wurden aus ihnen
ausgemergelte menschliche Schatten. Sobald sich in der Nähe ein Boot zeigt, laufen sie aus
dem Unterdeck heraus und bitten um Essen. Das Schiff ist
voller Ungeziefer und Insekten, die in großen Mengen auf dem Schiff herumlaufen. Nun
erwarten sie bebend die letzten achtundvierzig Stunden ihres Lebens.