Geheime
Staatspolizei
Wien, den 22. März 1938.
Staatspolizeistelle Wien
II B 4 J Nr. 137/38.
Betrifft: Paßerteilung an Juden.
Ohne Vorgang.
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Bis zur Angleichung an die für das Deutsche Reich
geltenden Bestimmungen über die Erteilung von Pässen
an Juden ordne ich für den Bereich des Landes Österreich
an:
- 1) An Juden
österreichischer
Staatsangehörigkeit werden grundsätzlich
keine
Pässe erteilt. Die bereits in ihren Händen befindlichen Pässen sind einzuziehen.
2) Ausnahmen sind nur zulässig, wenn
- a) die Paßerteilung zum
Zweck der Auswanderung ins Ausland beantragt wird oder
- b) die Paßerteilung zu
einer Reise erforderlich ist, die im dringenden wirtschaftlichen Interesse des Landes
liegt.
In den Fällen zu 2a) und b) ist vor der Paßerteilung die Stellungnahme der zuständigen Staatspolizeistelle
einzuholen, deren Entscheidung für die Paßbehörde bindend
ist.
In den Fällen zu 2a) hat die Staatspolizeistelle
eingehend zu prüfen, ob die an sich erwünschte Auswanderung eines Juden
politisch tragbar erscheint. Juden,
denen im Hinblick auf ihre politische Vergangenheit oder ihre internationalen Beziehungen
eine Gefährdung der Interessen des Reiches zuzutrauen ist, ist ein Paß
nicht zu erstellen.
Im übrigen ist vor jeder Paßerteilung von den
Paßbehörden bei der zuständigen Steuerbehörde (in Wien dem Zolloberamt, im
übrigen den Finanzdirektionen) festzustellen, ob etwaige Rückstände an Steuern oder
sonstigen öffentlichen Abgaben vorhanden sind. Die Paßerteilung ist in
jedem Fall von der Begleichung dieser Rückstände abhängig zu machen.
In den Fällen zu 2b) hat die Staatspolizeistelle
darüber hinaus im Benehmen mit der zuständigen Industrie- und Handelskammer zu prüfen,
ob an Hand des Geschäftsumfanges des Paßbewerbers die
beabsichtigte Reise im dringenden wirtschaftlichen Interesse des Landes
liegt. Bei der Prüfung dieser Frage ist ein strenger Maßstab anzulegen, wobei insbesondere
zu erörtern ist, ob nicht an Stelle des jüdischen
Paßbewerbers ein deutschblütiger Vertreter der in Betracht kommenden Firma die zu
erledigenden Aufgaben erfüllen kann.
Sollten gegen die Person des jüdischen
Paßbewerbers politische Bedenken bestehen, so ist die Paßerteilung
stets zu versagen, auch wenn die Reise im dringenden wirtschaftlichen
Interesse des Landes liegen sollte.
Sofern nach diesen Bestimmungen ein Paß
erteilt werden sollte, ist er im Fall zu 2a) auf die für die Auswanderung erforderliche Zeit, im Fall zu 2b) grundsätzlich höchstens auf die
Dauer von 4 Wochen zu beschränken.
Ich ersuche, gemäß diesen Richtlinien zu verfahren.
Gez. Huber