s-103
| und doch ist echter Sinn für die Römer noch ungleich seltner als der für die Griechen, weil es weniger synthetische als analytische Naturen gibt. |
s-104
| Denn auch für Nationen gibts einen eignen Sinn; |
s-105
| für historische wie für moralische Individuen, nicht bloß für praktische Gattungen, Künste oder Wissenschaften. |
s-106
| Wer etwas Unendliches will, der weiß nicht was er will. |
s-107
| Aber umkehren läßt sich dieser Satz nicht. |
s-108
| Ironie ist die Form des Paradoxen. |
s-109
| Paradox ist alles, was zugleich gut und groß ist. |
s-110
| Eins der wichtigsten Moyens der dramatischen und romantischen Kunst bei den Engländern sind die Guineen. |
s-111
| Besonders in der Schlußcadence werden sie stark gebraucht, wenn die Bässe anfangen recht voll zu arbeiten. |
s-112
| Wie tief doch im Menschen der Hang wurzelt, individuelle oder nationale Eigenheiten zu generalisieren! |
s-113
| – Ist dies allgemeiner französischer Sprachgebrauch? |
s-114
| Witz als Werkzeug der Rache ist so schändlich, wie Kunst als Mittel des Sinnenkitzels. |
s-115
| In manchem Gedicht erhält man stellenweise statt der Darstellung nur eine Überschrift, welche anzeigt, daß hier eigentlich dies oder das dargestellt sein sollte, daß der Künstler aber Verhinderung gehabt habe, und ergebenst um gewogene Entschuldigung bittet. |
s-116
| In Rücksicht auf die Einheit sind die meisten modernen Gedichte Allegorien (Mysterien, Moralitäten,) oder Novellen (Avantüren, Intrigen); |
s-117
| ein Gemisch, oder eine Verdünnung von diesen. |
s-118
| Es gibt Schriftsteller die Unbedingtes trinken wie Wasser; |
s-119
| und Bücher, wo selbst die Hunde sich aufs Unendliche beziehen. |
s-120
| Ein recht freier und gebildeter Mensch müßte sich selbst nach Belieben philosophisch oder philologisch, kritisch oder poetisch, historisch oder rhetorisch, antik oder modern stimmen können, ganz willkürlich, wie man ein Instrument stimmt, zu jeder Zeit, und in jedem Grade. |
s-121
| Witz ist logische Geselligkeit. |
s-122
| Auch gibts Kritiken, die nichts mehr sagen, nur viel weitläuftiger. |
s-123
| Wie die Menschen lieber groß handeln mögen, als gerecht: so wollen auch die Künstler veredeln und belehren. |
s-124
| Chamforts Lieblingsgedanke, der Witz sei ein Ersatz der unmöglichen Glückseligkeit, gleichsam ein kleines Prozent, womit die bankerotte Natur sich für die nicht honorierte Schuld des höchsten Gutes abfinde; ist nicht viel glücklicher als der des Shaftesbury, Witz sei der Prüfstein der Wahrheit, oder als das gemeinere Vorurteil, sittliche Veredlung sei der höchste Zweck der schönen Kunst. |
s-125
| Witz ist Zweck an sich, wie die Tugend, die Liebe und die Kunst. |
s-126
| Der genialische Mann fühlte, so scheint es, den unendlichen Wert des Witzes, und da die französische Philosophie nicht hinreicht, um dieses zu begreifen, so suchte er sein Höchstes instinktmäßig mit dem, was nach dieser das Erste und Höchste ist, zu verknüpfen. |
s-127
| Und als Maxime ist der Gedanke, der Weise müsse gegen das Schicksal immer en état d'epigramme sein, schön und echt zynisch. |
s-128
| Alle klassischen Dichtarten in ihrer strengen Reinheit sind jetzt lächerlich. |
s-129
| Streng genommen ist der Begriff eines wissenschaftlichen Gedichts wohl so widersinnig, wie der einer dichterischen Wissenschaft. |
s-130
| Man hat schon so viele Theorien der Dichtarten. |
s-131
| Warum hat man noch keinen Begriff von Dichtart? |
s-132
| Vielleicht würde man sich dann mit einer einzigen Theorie der Dichtarten behelfen müssen. |
s-133
| Nicht die Kunst und die Werke machen den Künstler, sondern der Sinn und die Begeisterung und der Trieb. |
s-134
| Es bedürfte eines neuen »Laokoon«, um die Grenzen der Musik und der Philosophie zu bestimmen. |
s-135
| Zur richtigen Ansicht mancher Schriften fehlt es noch an einer Theorie der grammatischen Tonkunst. |
s-136
| Die Poesie ist eine republikanische Rede; |
s-137
| eine Rede, die ihr eignes Gesetz und ihr eigner Zweck ist, wo alle Teile freie Bürger sind, und mitstimmen dürfen. |
s-138
| Die revolutionäre Objektivitätswut meiner frühern philosophischen Musikalien hat etwas weniges von der Grundwut, die unter Reinholds Konsulate in der Philosophie so gewaltig um sich griff. |
s-139
| In England ist der Witz wenigstens eine Profession, wenn auch keine Kunst. |
s-140
| Alles wird da zünftig, und selbst die roués dieser Insel sind Pedanten. |
s-141
| So auch ihre wits, welche die unbedingte Willkür, deren Schein dem Witz das Romantische und Pikante gibt, in die Wirklichkeit einführen, und so auch witzig leben; |
s-142
| daher ihr Talent zur Tollheit. |
s-143
| Sie sterben für ihre Grundsätze. |
s-144
| Wieviel Autoren gibts wohl unter den Schriftstellern? |
s-145
| Autor heißt Urheber. |
s-146
| Es gibt auch negativen Sinn, der viel besser ist als Null, aber viel seltner. |
s-147
| Man kann etwas innig lieben, eben weil mans nicht hat: das gibt wenigstens ein Vorgefühl ohne Nachsatz. |
s-148
| Selbst entschiedne Unfähigkeit, die man klar weiß, oder gar mit starker Antipathie ist bei reinem Mangel ganz unmöglich, und setzt wenigstens partiale Fähigkeit und Sympathie voraus. |
s-149
| Gleich dem Platonischen Eros ist also wohl dieser negative Sinn der Sohn des Überflusses und der Armut. |
s-150
| Er entsteht, wenn einer bloß den Geist hat, ohne den Buchstaben; |
s-151
| oder umgekehrt, wenn er bloß die Materialien und Förmlichkeiten hat, die trockne harte Schale des produktiven Genies ohne den Kern. |
s-152
| Im ersten Falle gibts reine Tendenzen, Projekte die so weit sind, wie der blaue Himmel, oder wenn's hoch kömmt, skizzierte Fantasien: im letzten zeigt sich jene harmonisch ausgebildete Kunst-Plattheit, in welcher die größten engländischen Kritiker so klassisch sind. |
s-153
| Das Kennzeichen der ersten Gattung, des negativen Sinns vom Geiste ist, wenn einer immer wollen muß, ohne je zu können; wenn einer immer hören mag, ohne je zu vernehmen. |
s-154
| Leute die Bücher schreiben, und sich dann einbilden, ihre Leser wären das Publikum, und sie müßten das Publikum bilden: diese kommen sehr bald dahin, ihr sogenanntes Publikum nicht bloß zu verachten, sondern zu hassen; |
s-155
| welches zu gar nichts führen kann. |
s-156
| Sinn für Witz ohne Witz ist doch schon das Abc der Liberalität. |
s-157
| Eigentlich haben sie's recht gern, wenn ein Dichterwerk ein wenig ruchlos ist, besonders in der Mitte; |
s-158
| nur muß der Anstand nicht gradezu beleidigt werden, und zuletzt muß alles ein gutes Ende nehmen. |
s-159
| Was in gewöhnlichen guten oder vortrefflichen Übersetzungen verloren geht, ist grade das Beste. |
s-160
| Es ist unmöglich, jemanden ein Ärgernis zu geben, wenn er's nicht nehmen will. |
s-161
| manche Kommentare, wo der Text nur Anstoß oder Nicht-Ich ist, philologische Idyllen. |
s-162
| Das ist der alte. |
s-163
| Es gibt einen andern Ehrgeiz, der lieber wie Tassos Gabriel: |
s-164
| Gabriel, che fra i primi era il secondo; |
s-165
| Das ist der moderne. |
s-166
| Maximen, Ideale, Imperative und Postulate sind jetzt bisweilen Rechenpfennige der Sittlichkeit. |
s-167
| Mancher der vortrefflichsten Romane ist ein Kompendium, eine Enzyclopädie des ganzen geistigen Lebens eines genialischen Individuums; |
s-168
| Werke die das sind, selbst in ganz andrer Form, wie »Nathan«, bekommen dadurch einen Anstrich vom Roman. |
s-169
| Auch enthält jeder Mensch, der gebildet ist, und sich bildet, in seinem Innern einen Roman. |
s-170
| Daß er ihn aber äußre und schreibe, ist nicht nötig. |
s-171
| Zur Popularität gelangen deutsche Schriften durch einen großen Namen, oder durch Persönlichkeiten, oder durch gute Bekanntschaft, oder durch Anstrengung, oder durch mäßige Unsittlichkeit, oder durch vollendete Unverständlichkeit, oder durch harmonische Plattheit, oder durch vielseitige Langweiligkeit, oder durch beständiges Streben nach dem Unbedingten. |
s-172
| Ungern vermisse ich in Kants Stammbaum der Urbegriffe die Kategorie Beinahe, die doch gewiß ebensoviel gewirkt hat in der Welt und in der Literatur, und ebensoviel verdorben, als irgendeine andre Kategorie. |
s-173
| In dem Geiste der Naturskeptiker tingiert sie alle übrigen Begriffe und Anschauungen. |
s-174
| Es hat etwas Kleinliches, gegen Individuen zu polemisieren, wie der Handel en detail. |
s-175
| Will er die Polemik nicht en gros treiben, so muß der Künstler wenigstens solche Individuen wählen, die klassisch sind, und von ewig dauerndem Wert. |
s-176
| Ist auch das nicht möglich, etwa im traurigen Fall der Notwehr: so müssen die Individuen, kraft der polemischen Fiktion, so viel als möglich zu Repräsentanten der objektiven Dummheit, und der objektiven Narrheit idealisiert werden: denn auch diese sind wie alles Objektive, unendlich interessant, wie der höhern Polemik würdige Gegenstände sein müssen. |
s-177
| Geist ist Naturphilosophie. |
s-178
| Manieren sind charakteristische Ecken. |
s-179
| Jeder rechtliche Autor schreibt für niemand, oder für alle. |
s-180
| Wer schreibt, damit ihn diese und jene lesen mögen, verdient, daß er nicht gelesen werde. |
s-181
| Der Zweck der Kritik, sagt man, sei, Leser zu bilden! |
s-182
| – Wer gebildet sein will, mag sich doch selbst bilden. |
s-183
| Dies ist unhöflich: es steht aber nicht zu ändern. |
s-184
| Da die Poesie unendlich viel wert ist, so sehe ich nicht ein, warum sie auch noch bloß mehr wert sein soll, wie dies und jenes, was auch unendlich viel wert ist. |
s-185
| Es gibt Künstler, welche nicht etwa zu groß von der Kunst denken, denn das ist unmöglich, aber doch nicht frei genug sind, sich selbst über ihr Höchstes zu erheben. |
s-186
| Nichts ist pikanter, als wenn ein genialischer Mann Manieren hat; |
s-187
| nämlich wenn er sie hat: aber gar nicht, wenn sie ihn haben; |
s-188
| das führt zur geistigen Versteinerung. |
s-189
| Sollte es nicht überflüssig sein, mehr als Einen Roman zu schreiben, wenn der Künstler nicht etwa ein neuer Mensch geworden ist? |
s-190
| – Offenbar gehören nicht selten alle Romane eines Autors zusammen, und sind gewissermaßen nur ein Roman. |
s-191
| Witz ist eine Explosion von gebundnem Geist. |
s-192
| Die Alten sind weder die Juden, noch die Christen, noch die Engländer der Poesie. |
s-193
| Sie sind nicht ein willkürlich auserwähltes Kunstvolk Gottes; |
s-194
| noch haben sie den alleinseligmachenden Schönheitsglauben; noch besitzen sie ein Dichtungsmonopol. |
s-195
| Auch der Geist kann, wie das Tier, nur in einer aus reiner Lebensluft und Azote gemischten Atmosphäre atmen. |
s-196
| Dies nicht ertragen und begreifen zu können, ist das Wesen der Torheit; |
s-197
| es schlechthin nicht zu wollen, der Anfang der Narrheit. |
s-198
| In den Alten sieht man den vollendeten Buchstaben der ganzen Poesie: in den Neuern ahnet man den werdenden Geist. |
s-199
| Mittelmäßige Autoren, die ein kleines Buch so ankündigen, als ob sie einen großen Riesen wollten sehen lassen, sollten von der literarischen Polizei genötigt werden, ihr Produkt mit dem Motto stempeln zu lassen: This is the greatest elephant in the world, except himself. |
s-200
| Die harmonische Plattheit kann dem Philosophen sehr nützlich werden, als ein heller Leuchtturm für noch unbefahrne Gegenden des Lebens, der Kunst oder der Wissenschaft. |
s-201
| – Er wird den Menschen, das Buch vermeiden, die ein harmonisch Platter bewundert und liebt; |
s-202
| und der Meinung wenigstens mißtrauen, an die mehre der Art fest glauben. |