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s-1 Man nennt viele Künstler, die eigentlich Kunstwerke der Natur sind.
s-2 Jedes Volk will auf der Schaubühne nur den mittlern Durchschnitt seiner eignen Oberfläche schauen;
s-3 man müßte ihm denn Helden, Musik oder Narren zum besten geben.
s-4 Wenn Diderot im »Jakob« etwas recht Genialisches gemacht hat, so kömmt er gewöhnlich gleich selbst hinterher, und erzählt seine Freude dran, daß es so genialisch geworden ist.
s-5 Es gibt so viel Poesie, und doch ist nichts seltner als ein Poem!
s-6 Das macht die Menge von poetischen Skizzen, Studien, Fragmenten, Tendenzen, Ruinen, und Materialien.
s-7 Manches kritische Journal hat den Fehler, welcher Mozarts Musik so häufig vorgeworfen wird: einen zuweilen unmäßigen Gebrauch der Blasinstrumente.
s-8 Man tadelt die metrische Sorglosigkeit der Goetheschen Gedichte.
s-9 Sollten aber die Gesetze des deutschen Hexameters wohl so konsequent und allgemeingültig sein, wie der Charakter der Goetheschen Poesie?
s-10 Mein Versuch über das Studium der griechischen Poesie ist ein manierierter Hymnus in Prosa auf das Objektive in der Poesie.
s-11 Das Schlechteste daran scheint mir der gänzliche Mangel der unentbehrlichen Ironie; und das Beste, die zuversichtliche Voraussetzung, daß die Poesie unendlich viel wert sei; als ob dies eine ausgemachte Sache wäre.
s-12 Eine gute Vorrede muß zugleich die Wurzel und das Quadrat ihres Buchs sein.
s-13 Witz ist unbedingt geselliger Geist, oder fragmentarische Genialität.
s-14 Man muß das Brett bohren, wo es am dicksten ist.
s-15 Es ist noch gar nichts recht Tüchtiges, was Gründlichkeit, Kraft und Geschick hätte, wider die Alten geschrieben worden;
s-16 besonders wider ihre Poesie.
s-17 In dem, was man Philosophie der Kunst nennt, fehlt gewöhnlich eins von beiden;
s-18 entweder die Philosophie oder die Kunst.
s-19 Jedes Gleichnis, was nur lang ist, nennt Bodmer gern homerisch.
s-20 So hört man auch wohl Witz aristophanisch nennen, an dem nichts klassisch ist, als die Zwanglosigkeit und die Deutlichkeit.
s-21 Auch in der Poesie mag wohl alles Ganze halb, und alles Halbe doch eigentlich ganz sein.
s-22 Der dumme Herr in Diderots »Jakob« macht dem Künstler vielleicht mehr Ehre, als der närrische Diener.
s-23 Er ist freilich nur beinah genialisch dumm.
s-24 Aber auch das war wohl schwerer zu machen, als einen ganz genialischen Narren.
s-25 Genie ist zwar nicht Sache der Willkür aber doch der Freiheit, wie Witz, Liebe und Glauben, die einst Künste und Wissenschaften werden müssen.
s-26 Man soll von jedermann Genie fordern, aber ohne es zu erwarten.
s-27 Ein Kantianer würde dies den kategorischen Imperativ der Genialität nennen.
s-28 Nichts ist verächtlicher als trauriger Witz.
s-29 Die Romane endigen gern, wie das Vaterunser anfängt: mit dem Reich Gottes auf Erden.
s-30 Manches Gedicht wird so geliebt, wie der Heiland von den Nonnen.
s-31 Eine klassische Schrift muß nie ganz verstanden werden können.
s-32 Aber die, welche gebildet sind und sich bilden, müssen immer mehr draus lernen wollen.
s-33 Wie ein Kind eigentlich eine Sache ist, die ein Mensch werden will: so ist auch das Gedicht nur ein Naturding, welches ein Kunstwerk werden will.
s-34 Ein einziges analytisches Wort, auch zum Lobe, kann den vortrefflichsten witzigen Einfall, dessen Flamme nun erst wärmen sollte, nachdem sie geglänzt hat, unmittelbar löschen.
s-35 In jedem guten Gedicht muß alles Absicht, und alles Instinkt sein.
s-36 Dadurch wird es idealisch.
s-37 Die kleinsten Autoren haben wenigstens die Ähnlichkeit mit dem großen Autor des Himmels und der Erde, daß sie nach vollbrachtem Tagewerke zu sich selbst zu sagen pflegen: »Und siehe, was er gemacht hatte, war gut.«
s-38 Die beiden Hauptgrundsätze der sogenannten historischen Kritik sind das Postulat der Gemeinheit, und das Axiom der Gewöhnlichkeit.
s-39 Postulat der Gemeinheit: Alles recht Große, Gute und Schöne ist unwahrscheinlich, denn es ist außerordentlich, und zum mindesten verdächtig.
s-40 Axiom der Gewöhnlichkeit: Wie es bei uns und um uns ist, so muß es überall gewesen sein, denn das ist ja alles so natürlich.
s-41 Die Romane sind die sokratischen Dialoge unserer Zeit.
s-42 In diese liberale Form hat sich die Lebensweisheit vor der Schulweisheit geflüchtet.
s-43 Ein Kritiker ist ein Leser, der wiederkäut.
s-44 Er sollte also mehr als einen Magen haben.
s-45 Anmut ist korrektes Leben;
s-46 Sinnlichkeit die sich selbst anschaut, und sich selbst bildet.
s-47 An die Stelle des Schicksals tritt in der modernen Tragödie zuweilen Gott der Vater, noch öfter aber der Teufel selbst.
s-48 Wie kommts, daß dies noch keinen Kunstgelehrten zu einer Theorie der diabolischen Dichtart veranlaßt hat?
s-49 Die Einteilung der Kunstwerke in naive und sentimentale, ließe sich vielleicht sehr fruchtbar auch auf die Kunsturteile anwenden.
s-50 Es gibt sentimentale Kunsturteile, denen nichts fehlt als eine Vignette und ein Motto, um auch vollkommen naiv zu sein.
s-51 Zur Vignette, ein blasender Postillion.
s-52 Zum Motto eine Phrasis des alten Thomasius beim Schluß einer akademischen Festrede: Nunc vero musicantes musicabunt cum paucis et trompetis.
s-53 Einige verdampfen, andre werden zu Wasser.
s-54 Eins von beiden ist fast immer herrschende Neigung jedes Schriftstellers: entweder manches nicht zu sagen, was durchaus gesagt werden müßte, oder vieles zu sagen, was durchaus nicht gesagt zu werden brauchte.
s-55 Ein witziger Einfall ist eine Zersetzung geistiger Stoffe, die also vor der plötzlichen Scheidung innigst vermischt sein mußten.
s-56 Die Einbildungskraft muß erst mit Leben jeder Art bis zur Sättigung angefüllt sein, ehe es Zeit sein kann, sie durch die Friktion freier Geselligkeit so zu elektrisieren, daß der Reiz der leisesten freundlichen oder feindlichen Berührung ihr blitzende Funken und leuchtende Strahlen, oder schmetternde Schläge entlocken kann.
s-57 Mancher redet so vom Publikum, als ob es jemand wäre, mit dem er auf der Leipziger Messe im Hotel de Saxe zu Mittage gespeist hätte.
s-58 Wer ist dieser Publikum?
s-59 Publikum ist gar keine Sache, sondern ein Gedanke, ein Postulat, wie Kirche.
s-60 Wer noch nicht bis zur klaren Einsicht gekommen ist, daß es eine Größe noch ganz außerhalb seiner eigenen Sphäre geben könne, für die ihm der Sinn durchaus fehle;
s-61 wer nicht wenigstens dunkle Vermutungen hat, nach welcher Weltgegend des menschlichen Geistes hin diese Größe ungefähr gelegen sein möge: der ist in seiner eignen Sphäre entweder ohne Genie, oder noch nicht bis zum Klassischen gebildet.
s-62 Um über einen Gegenstand gut schreiben zu können, muß man sich nicht mehr für ihn interessieren;
s-63 der Gedanke, den man mit Besonnenheit ausdrücken soll, muß schon gänzlich vorbei sein, einen nicht mehr eigentlich beschäftigen.
s-64 So lange der Künstler erfindet und begeistert ist, befindet er sich für die Mitteilung wenigstens in einem illiberalen Zustande.
s-65 Er wird dann alles sagen wollen; welches eine falsche Tendenz junger Genies, oder ein richtiges Vorurteil alter Stümper ist.
s-66 Dadurch verkennt er den Wert und die Würde der Selbstbeschränkung, die doch für den Künstler wie für den Menschen das Erste und das Letzte, das Notwendigste und das Höchste ist.
s-67 Das Notwendigste: denn überall, wo man sich nicht selbst beschränkt, beschränkt einen die Welt;
s-68 wodurch man ein Knecht wird.
s-69 Das Höchste: denn man kann sich nur in den Punkten und an den Seiten selbst beschränken, wo man unendliche Kraft hat, Selbstschöpfung und Selbstvernichtung.
s-70 Selbst ein freundschaftliches Gespräch, was nicht in jedem Augenblick frei abbrechen kann, aus unbedingter Willkür, hat etwas Illiberales.
s-71 Ein Schriftsteller aber, der sich rein ausreden will und kann, der nichts für sich behält, und alles sagen mag, was er weiß, ist sehr zu beklagen.
s-72 Nur vor drei Fehlern hat man sich zu hüten.
s-73 Was unbedingte Willkür, und sonach Unvernunft oder Übervernunft scheint und scheinen soll, muß dennoch im Grunde auch wieder schlechthin notwendig und vernünftig sein;
s-74 sonst wird die Laune Eigensinn, es entsteht Illiberalität, und aus Selbstbeschränkung wird Selbstvernichtung.
s-75 Zweitens: man muß mit der Selbstbeschränkung nicht zu sehr eilen, und erst der Selbstschöpfung, der Erfindung und Begeisterung Raum lassen, bis sie fertig ist.
s-76 Drittens: man muß die Selbstbeschränkung nicht übertreiben.
s-77 An dem Urbilde der Deutschheit, welches einige große vaterländische Erfinder aufgestellt haben, läßt sich nichts tadeln als die falsche Stellung.
s-78 Diese Deutschheit liegt nicht hinter uns, sondern vor uns.
s-79 Die Geschichte der Nachahmung der alten Dichtkunst, vornehmlich im Auslande hat unter andern auch den Nutzen, daß sich die wichtigen Begriffe von unwillkürlicher Parodie und passivem Witz, hier am leichtesten und vollständigsten entwickeln lassen.
s-80 In der in Deutschland erfundenen und in Deutschland geltenden Bedeutung ist Ästhetisch ein Wort, welches wie bekannt eine gleich vollendete Unkenntnis der bezeichneten Sache und der bezeichnenden Sprache verrät.
s-81 Warum wird es noch beibehalten?
s-82 An geselligem Witz und geselliger Fröhlichkeit sind wenige Bücher mit dem Roman »Faublas« zu vergleichen.
s-83 Er ist der Champagner seiner Gattung.
s-84 Die Philosophie ist die eigentliche Heimat der Ironie, welche man logische Schönheit definieren möchte: denn überall wo in mündlichen oder geschriebenen Gesprächen, und nur nicht ganz systematisch philosophiert wird, soll man Ironie leisten und fordern;
s-85 und sogar die Stoiker hielten die Urbanität für eine Tugend.
s-86 Freilich gibts auch eine rhetorische Ironie, welche sparsam gebraucht vortreffliche Wirkung tut, besonders im Polemischen;
s-87 Die Poesie allein kann sich auch von dieser Seite bis zur Höhe der Philosophie erheben, und ist nicht auf ironische Stellen begründet, wie die Rhetorik.
s-88 Es gibt alte und moderne Gedichte, die durchgängig im Ganzen und überall den göttlichen Hauch der Ironie atmen.
s-89 Es lebt in ihnen eine wirklich transzendentale Buffonerie.
s-90 Im Innern, die Stimmung, welche alles übersieht, und sich über alles Bedingte unendlich erhebt, auch über eigne Kunst, Tugend, oder Genialität: im Äußern, in der Ausführung die mimische Manier eines gewöhnlichen guten italiänischen Buffo.
s-91 Hippel, sagt Kant, hatte die empfehlungswürdige Maxime, man müsse das schmackhafte Gericht einer launigen Darstellung noch durch die Zutat des Nachgedachten würzen.
s-92 Warum will Hippel nicht mehr Nachfolger in dieser Maxime finden, da doch Kant sie gebilligt hat?
s-93 Man sollte sich nie auf den Geist des Altertums berufen, wie auf eine Autorität.
s-94 Es ist eine eigene Sache mit den Geistern;
s-95 sie lassen sich nicht mit Händen greifen, und dem andern vorhalten.
s-96 Geister zeigen sich nur Geistern.
s-97 Das Kürzeste und das Bündigste wäre wohl auch hier, den Besitz des alleinseligmachenden Glaubens durch gute Werke zu beweisen.
s-98 Bei der sonderbaren Liebhaberei moderner Dichter für griechische Terminologie in Benennung ihrer Produkte, erinnert man sich der naiven Äußerung eines Franzosen bei Gelegenheit der neuen altrepublikanischen Feste: que pourtant nous sommes menacés de rester toujours François.
s-99 Manche solcher Benennungen der Feudalpoesie können bei den Literatoren künftiger Zeitalter ähnliche Untersuchungen veranlassen, wie die, warum Dante sein großes Werk eine göttliche Komödie nannte.
s-100 Es gibt Tragödien, die man, wenn einmal etwas Griechisches im Namen sein soll, am besten traurige Mimen nennen könnte.

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