s-101
| Da die Philosophie jetzt alles, was ihr vorkömmt kritisiert, so wäre eine Kritik der Philosophie nichts als eine gerechte Repressalie. |
s-102
| Mit dem Schriftstellerruhm ist es oft wie mit Frauengunst, und Gelderwerb. |
s-103
| Ist nur erst ein guter Grund gelegt, so folgt das übrige von selbst. |
s-104
| Viele heißen durch Zufall groß. |
s-105
| »Es ist alles Glück nur Glück;« ist das Resultat mancher literarischen Phänomene nicht minder als der meisten politischen. |
s-106
| An das Herkommen glaubend, und immer um neue Tollheiten bemüht; |
s-107
| nachahmungssüchtig und stolz auf Selbständigkeit, unbeholfen in der Oberflächlichkeit, und bis zur Gewandtheit geschickt im tief- oder trübsinnig Schwerfälligen; |
s-108
| von Natur platt, aber dem Streben nach transzendent in Empfindungen und Ansichten; |
s-109
| in ernsthafter Behaglichkeit gegen Witz und Mutwillen durch einen heiligen Abscheu verschanzt; |
s-110
| auf die große Masse welcher Literatur möchten diese Züge etwa passen? |
s-111
| Die schlechten Schriftsteller klagen viel über Tyrannei der Rezensenten; |
s-112
| ich glaube diese hätten eher die Klage zu führen. |
s-113
| Sie sollen schön, geistvoll, vortrefflich finden, was nichts von dem allen ist; und es stößt sich nur an dem kleinen Umstande der Macht, so gingen die Rezensierten eben so mit ihnen um wie Dionysius mit den Tadlern seiner Verse. |
s-114
| Ein Kotzebue hat dies ja laut bekannt. |
s-115
| Auch ließen sich die neuen Produkte von kleinen Dionysen dieser Art hinreichend mit den Worten anzeigen: Führt mich wieder in die Latomien. |
s-116
| Die Untertanen in einigen Ländern rühmen sich einer Menge Freiheiten, die ihnen alle durch die Freiheit entbehrlich werden würden. |
s-117
| So legt man wohl nur deswegen einen so großen Nachdruck auf die Schönheiten mancher Gedichte, weil sie keine Schönheit haben. |
s-118
| Sie sind im einzelnen kunstvoll, aber im ganzen keine Kunstwerke. |
s-119
| Die wenigen Schriften, welche gegen die Kantische Philosophie existieren, sind die wichtigsten Dokumente zur Krankheitsgeschichte des gesunden Menschenverstandes. |
s-120
| Diese Epidemie, welche in England entstanden ist, drohte einmal sogar die deutsche Philosophie anstecken zu wollen. |
s-121
| Das Druckenlassen verhält sich zum Denken, wie eine Wochenstube zum ersten Kuß. |
s-122
| Jeder ungebildete Mensch ist die Karikatur von sich selbst. |
s-123
| Moderantismus ist Geist der kastrierten Illiberalität. |
s-124
| Viele Lobredner beweisen die Größe ihres Abgottes antithetisch, durch die Darlegung ihrer eignen Kleinheit. |
s-125
| Wenn der Autor dem Kritiker gar nichts mehr zu antworten weiß, so sagt er ihm gern: Du kannst es doch nicht besser machen. |
s-126
| Das ist eben, als wenn ein dogmatischer Philosoph dem Skeptiker vorwerfen wollte, daß er kein System erfinden könne. |
s-127
| Es wäre illiberal, nicht vorauszusetzen, ein jeder Philosoph sei liberal, und folglich rezensibel; |
s-128
| ja es nicht zu fingieren, wenn man auch das Gegenteil weiß. |
s-129
| Aber anmaßend wäre es, Dichter ebenso zu behandeln; |
s-130
| es müßte denn einer durch und durch Poesie und gleichsam ein lebendes und handelndes Kunstwerk sein. |
s-131
| Nur der Kunstliebhaber liebt wirklich die Kunst, der auf einige seiner Wünsche völlig Verzicht tun kann, wo er andre ganz befriedigt findet, der auch das Liebste noch streng würdigen mag, der sich im Notfall Erklärungen gefallen läßt, und Sinn für Kunstgeschichte hat. |
s-132
| Die Pantomimen der Alten haben wir nicht mehr. |
s-133
| Dagegen ist aber die ganze Poesie jetzt pantomimisch. |
s-134
| Wo ein öffentlicher Ankläger auftreten soll, muß schon ein öffentlicher Richter vorhanden sein. |
s-135
| Man redet immer von der Störung, welche die Zergliederung des Kunstschönen dem Genuß des Liebhabers verursachen soll. |
s-136
| So der rechte Liebhaber läßt sich wohl nicht stören! |
s-137
| Übersichten des Ganzen, wie sie jetzt Mode sind, entstehen, wenn einer alles einzelne übersieht, und dann summiert. |
s-138
| Sollte es mit der Bevölkerung nicht sein wie mit der Wahrheit, wo das Streben, wie man sagt, mehr wert ist als die Resultate? |
s-139
| Nach dem verderbten Sprachgebrauche bedeutet Wahrscheinlich so viel, als Beinah wahr, oder Etwas wahr, oder was noch vielleicht einmal wahr werden kann. |
s-140
| Das alles kann das Wort aber schon seiner Bildung nach, gar nicht bezeichnen. |
s-141
| Was wahr scheint, braucht darum auch nicht im kleinsten Grade wahr zu sein: aber es muß doch positiv scheinen. |
s-142
| Das Wahrscheinliche ist der Gegenstand der Klugheit, des Vermögens unter den möglichen Folgen freier Handlungen die wirklichen zu erraten, und etwas durchaus Subjektives. |
s-143
| Was einige Logiker so genannt und zu berechnen versucht haben, ist Möglichkeit. |
s-144
| Die formale Logik und die empirische Psychologie sind philosophische Grotesken. |
s-145
| Denn das Interessante einer Arithmetik der vier Spezies oder einer Experimentalphysik des Geistes kann doch nur in dem Kontrast der Form und des Stoffs liegen. |
s-146
| Die intellektuale Anschauung ist der kategorische Imperativ der Theorie. |
s-147
| Ein Dialog ist eine Kette, oder ein Kranz von Fragmenten. |
s-148
| Ein Briefwechsel ist ein Dialog in vergrößertem Maßstabe, und Memorabilien sind ein System von Fragmenten. |
s-149
| Es gibt noch keins was in Stoff und Form fragmentarisch, zugleich ganz subjektiv und individuell, und ganz objektiv und wie ein notwendiger Teil im System aller Wissenschaften wäre. |
s-150
| Das Nichtverstehen kommt meistens gar nicht vom Mangel an Verstande, sondern vom Mangel an Sinn. |
s-151
| Die Narrheit ist bloß dadurch von der Tollheit verschieden, daß sie willkürlich ist wie die Dummheit. |
s-152
| Soll dieser Unterschied nicht gelten, so ists sehr ungerecht einige Narren einzusperren, während man andre ihr Glück machen läßt. |
s-153
| Beide sind dann nur dem Grade, nicht der Art nach verschieden. |
s-154
| Der Historiker ist ein rückwärts gekehrter Prophet. |
s-155
| Die meisten Menschen wissen von keiner andern Würde, als von repräsentativer; |
s-156
| und doch haben nur so äußerst wenige Sinn für repräsentativen Wert. |
s-157
| Was auch für sich gar nichts ist, wird doch Beitrag zur Charakteristik irgendeiner Gattung sein, und in dieser Rücksicht könnte man sagen: Niemand sei uninteressant. |
s-158
| Die Demonstrationen der Philosophie sind eben Demonstrationen im Sinne der militärischen Kunstsprache. |
s-159
| Mit den Deduktionen steht es auch nicht besser wie mit den politischen; |
s-160
| auch in den Wissenschaften besetzt man erst ein Terrain, und beweist dann hinterdrein sein Recht daran. |
s-161
| Auf die Definitionen läßt sich anwenden, was Chamfort von den Freunden sagte, die man so in der Welt hat. |
s-162
| Es gibt drei Arten von Erklärungen in der Wissenschaft: Erklärungen, die uns ein Licht oder einen Wink geben; |
s-163
| Erklärungen, die nichts erklären; und Erklärungen, die alles verdunkeln. |
s-164
| Die rechten Definitionen lassen sich gar nicht aus dem Stegreife machen, sondern müssen einem von selbst kommen; eine Definition die nicht witzig ist, taugt nichts, und von jedem Individuum gibt es doch unendlich viele reale Definitionen. |
s-165
| Die notwendigen Förmlichkeiten der Kunstphilosophie arten aus in Etikette und Luxus. |
s-166
| Als Legitimation und Probe der Virtuosität haben sie ihren Zweck und Wert, wie die Bravourarien der Sänger, und das Lateinschreiben der Philologen. |
s-167
| Auch machen sie nicht wenig rhetorischen Effekt. |
s-168
| Die Hauptsache aber bleibt doch immer, daß man etwas weiß, und daß man es sagt. |
s-169
| Es beweisen oder gar erklären wollen, ist in den meisten Fällen herzlich überflüssig. |
s-170
| Der kategorische Styl der Gesetze der zwölf Tafeln, und die thetische Methode, wo die reinen Fakta der Reflexion ohne Verhüllung, Verdünnung und künstliche Verstellung wie Texte für das Studium oder die Symphilosophie da stehen, bleibt der gebildeten Naturphilosophie die angemessenste. |
s-171
| Soll beides gleich gut gemacht werden, so ist es unstreitig viel schwerer behaupten, als beweisen. |
s-172
| Es gibt Demonstrationen die Menge, die der Form nach vortrefflich sind, für schiefe und platte Sätze. |
s-173
| Leibniz behauptete, und Wolff bewies. |
s-174
| Das ist genug gesagt. |
s-175
| Der Satz des Widerspruchs ist auch nicht einmal das Prinzip der Analyse, nemlich der absoluten, die allein den Namen verdient, der chemischen Dekomposition eines Individuums in seine schlechthin einfachen Elemente. |
s-176
| Subjektiv betrachtet, fängt die Philosophie doch immer in der Mitte an, wie das epische Gedicht. |
s-177
| Grundsätze sind fürs Leben, was im Kabinett geschriebene Instruktionen für den Feldherrn. |
s-178
| Echtes Wohlwollen geht auf Beförderung fremder Freiheit, nicht auf Gewährung tierischer Genüsse. |
s-179
| Das Erste in der Liebe ist der Sinn füreinander, und das Höchste, der Glauben aneinander. |
s-180
| Hingebung ist der Ausdruck des Glaubens, und Genuß kann den Sinn beleben und schärfen, wenn auch nicht hervor bringen, wie die gemeine Meinung ist. |
s-181
| Darum kann die Sinnlichkeit schlechte Menschen auf eine kurze Zeit täuschen, als könnten sie sich lieben. |
s-182
| Es gibt Menschen, deren ganze Tätigkeit darin besteht, immer Nein zu sagen. |
s-183
| Es wäre nichts Kleines, immer recht Nein sagen zu können, aber wer weiter nichts kann, kann es gewiß nicht recht. |
s-184
| Der Geschmack dieser Neganten ist eine tüchtige Schere, um die Extremitäten des Genies zu säubern; |
s-185
| ihre Aufklärung eine große Lichtputze für die Flamme des Enthusiasmus; |
s-186
| und ihre Vernunft ein gelindes Laxativ gegen unmäßige Lust und Liebe. |
s-187
| Die Kritik ist das einzige Surrogat der von so manchen Philosophen vergeblich gesuchten und gleich unmöglichen moralischen Mathematik und Wissenschaft des Schicklichen. |
s-188
| Der Gegenstand der Historie ist das Wirklichwerden alles dessen, was praktisch notwendig ist. |
s-189
| Die Logik ist weder die Vorrede, noch das Instrument, noch das Formular, noch eine Episode der Philosophie, sondern eine der Poetik und Ethik entgegengesetzte, und koordinierte pragmatische Wissenschaft, welche von der Foderung der positiven Wahrheit, und der Voraussetzung der Möglichkeit eines Systems ausgeht. |
s-190
| Ehe nicht die Philosophen Grammatiker, oder die Grammatiker Philosophen werden, wird die Grammatik nicht, was sie bei den Alten war, eine pragmatische Wissenschaft und ein Teil der Logik, noch überhaupt eine Wissenschaft werden. |
s-191
| Die Lehre vom Geist und Buchstaben ist unter andern auch darum so interessant, weil sie die Philosophie mit der Philologie in Berührung setzen kann. |
s-192
| Immer hat noch jeder große Philosoph seine Vorgänger, oft ohne seine Absicht, so erklärt, daß es schien, als habe man sie vor ihm gar nicht verstanden. |
s-193
| Einiges muß die Philosophie einstweilen auf ewig voraussetzen, und sie darf es, weil sie es muß. |
s-194
| Wer nicht um der Philosophie willen philosophiert, sondern die Philosophie als Mittel braucht, ist ein Sophist. |
s-195
| Als vorübergehender Zustand ist der Skeptizismus logische Insurrektion; |
s-196
| als System ist er Anarchie. |
s-197
| Skeptische Methode wäre also ungefähr wie insurgente Regierung. |
s-198
| Philosophisch ist alles, was zur Realisierung des logischen Ideals beiträgt, und wissenschaftliche Bildung hat. |
s-199
| Bei den Ausdrücken, Seine Philosophie, Meine Philosophie, erinnert man sich immer an die Worte im »Nathan«: »Wem eignet Gott? |
s-200
| Was ist das für ein Gott, der einem Menschen eignet?« |