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authentisches Erinnerungsbild der Verhandlungen in ihren ein-
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zelnen Stadien festzuhalten. Einzig und allein die Resultate der
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Verhandlungen hat man schriftlich fixiert. Dem entsprechend
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haben auch die mittelalterlichen Archive nur kleine Bestände
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aufzuweisen. Die Renaissancebewegung hat dann nicht nur die
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große Umwandlung der Verwaltungsorganisation durch Aus-
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bildung wirklicher Behörden hervorgerufen, sondern auch
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Hand in Hand mit dieser eine ungeahnte Ausdehnung des
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schriftlichen Geschäftsverkehres angebahnt. In dem Masse,
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als man nun die Vorteile einer aktenmäßigen Grundlage für
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die Erledigung der Amtsgeschäfte erkannte, mußte man eine
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gesicherte Verwahrung der aus dem schriftlichen Verkehr sich
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ergebenden Akten ins Auge fassen, Die neuzeitlichen Kanzlei-
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archive (Aktenarchive) lósen die mittelalterlichen Schatz-
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archive (Urkundenarchive) ab. Von diesem Lose des Abster-
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bens wird auch das bóhmische Kronarchiv ereilt; so werden
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die Lehenreverse seit dem 16. Jahrhunderte nicht mehr in das
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Kronarchiv, sondern zur böhmischen Hofkanzleiregistratur
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gegeben. Überall können wir die gleiche Caesur in der Ent-
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wickelung des Archivwesens beobachten. Die mittelalterlichen
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Archive erscheinen vielmehr in der Neuzeit als abgeschlossene
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Archive und erfahren nur mehr eine bescheidene Vermehrung;
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die weitere Entwickelung des Archivwesens setzt dagegen bei
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den Kanzleien der neuen Behörden ein. Den zweifellos beste-
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henden Unterschied zwischen den Urkunden- und Schatzarchi-
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ven einerseits und den Akten- und Kanzleiarchiven anderseits
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hat die bisherige archivkundliche Literatur nicht entsprechend
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gewürdigt,

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I. 4. Verfolgen wir den Begriff des Archives sowohl in
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dem Zeitalter der Schatzarchive wie auch in dem der Kanzlei-
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archive, so finden wir, daB ein Archiv jederzeit das Produkt
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einer Auswahl des Schriftenmaterials repräsentiert hat, wobei
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für die Zuweisung zum Archive der Wert der einzelnen Schrift-
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stücke als ausschlaggebend erscheint. Die mittelalterlichen
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Urkundenarchive sind das Produkt einer solchen Auswahl,
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indem in diese nur solche Urkunden aufgenommen werden, wel-
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che als »litterae utiles« gelten. In jener Zeit des Aufschwungs
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des Archivwesens, als man zu neuen Archivbildungen schritt,
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hat wiederum der rechtliche Wert der einzelnen Schriftstücke
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den Gegensatz zwischen Archiv und Registratur bestimmt. Der
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praktische Wert in juristischer Beziehung blieb bis ins 19. Jahr-
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hundert für die Zuweisung zum Archive maßgebend und wurde
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erst dann durch den historischen Wert bei der Auswahl ab-
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gelöst.

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I. 5. Die moderne Archivtheorie, welche jedes wahre Ar-

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chiv aus dem Geschäftsgange einer Kanzlei, beziehungsweise


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