EN | ES |

Facsimile Lines

1017


< Page >

[1]
XLIV

[2]
bedeutende Auslassungen. Dies ist auch, nur in viel höherem Grade, mit der Lyra-
[3]
Quelle der Fall. Die entlehnten Erklärungen bilden nur einen Bruchteil aller bei
[4]
Lyra überlieferten Hiob-Kommentarien. Diese erscheinen oft fast wörtlich wieder-
[5]
gegeben, aber noch öfter mehr oder weniger stark abgekürzt, u. a. durch Auslassung
[6]
von vielen der bei Lyra vorkommenden biblischen und philosophischen Ausführungen.
[7]
Hie und da finden sich auch kleinere Umstellungen: vgl. den genealogischen Be-
[8]
richt in der Vorrede v. 444 ff., der wohl aus Lyra Kap. 1 stammt, sowie die Er-
[9]
orterungen über das große Jahr v. 5492 ff. (= Job 14, 11), die bei Lyra zu Job
[10]
7, 7 gestellt sind. Andere Auslegungen sind frei umschrieben worden: ein kurz
[11]
gefaßter Gedanke bei Lyra ist dem deutschen Dichter nicht selten ein Anlaß zu
[12]
langen Ausführungen geworden. Im Hauptteil des Gedichts sind die stofflich selb-
[13]
ständigen Partien sonst sehr unbedeutend.

[14]
Auf seine Quellen verweist der Dichter selber sehr oft durch Ausdrücke wie
[15]
glose (v. 107. 210. 443. 494. 7510. 7617. 8100. 8249. 14747. 15188), gloselin
[16]
14848, gegloset 490, lerer (vgl. oben und noch v. 830. 1096. 1143. 1342. 1375. 7751.
[17]
10704. 14735), meister 435. 5359. 13859. 13915, der wise 635, di wisen 13674.
[18]
14210. 15097. 15261, der philosophen man 13832, als ich geschriben vant 729.
[19]
Besonders genannt sind (aufer Gregorius und Hieronymus) Ambrosius 644,
[20]
Augustinus 11633, Aristoteles 8064. 13406.

[21]
Auch der Bibeltext ist angeführt worden; vgl. di heilige schrift 107. 599. 1375, so-
[22]
wie EWnzelzitate: Moyses 444. 9444. 10756. 14042, kunge buch 4736. 15481,
[23]
(Buch der Richter 14304), das Buch Hiob (buch) 353. 417. 420. 425, kunig
[24]
David 64. 169. 14048, der salter 12370, kung Salomon 10791. 13396, Ezechiel
[25]
470, Ysaias 8252, Matheus der deyn 1120, der ewangeliste Lucas 166, sente
[26]
Pauwel 780. 6893.

[27]
Wer ist schließlich der anonyme Dichter der Paraphrase? Persönlich tritt
[28]
er nicht selten hervor, aber nur durch das nichtssagende ich: vgl. v. 121. 729. 839.
[29]
2065. 2802. 2828. 4521. 5273. 5347. 15512. 15518 f. 15523. 15537. Nach Franz
[30]
Hipler, Literaturgeschichte des Bistums Ermland (1873) S. 18 ff. ist er identisch
[31]
mit dem Magister Tilo von Kulm, der im J. 1331 das Gedicht Von siben inge-
[32]
sigeln beendet hat. Dieser Auffassung sind andere Forscher beigetretem: schon
[33]
M üller (S. 5), wenn auch ohne jede Begründung. J'ngst hat Reimann in einer Unter-
[34]
suchung über den Stil der Siben Ingesigel (Palaestra IC) dieser Verfasser-

[35]

[36]
die Lyra-Chronologie falsch oder der Dichter hat eine Vorlage oder Quelle von Lyras Hiob- Kommentar
[37]
benutzt. Lyra wollte dem vielfach verdorbenen lat. Text den Grumdtext vorziehen und hat auch
[38]
jüdische Ausleger, besonders Rabbi Salomon Raschi (geb. 1040), den Begründer und Mittelpunkt
[39]
der nordfranzösischen Exegetenschule, berücksichtigt. Es ist bezeichnend für Lyra, daß er unter den
[40]
jüdischen Exegeten gerade den Raschi gewählt hat, der in der jüdischen Exegese ebenfalls eine Epoche
[41]
der Beschränkung des Allegorisierens einleitet. Vom Hebräischen versteht Lyra sonst nicht allzuviel,
[42]
wenn auch mehr als seine Zeitgenossen. Er ist ganz auf seinen Raschi angewiesen, den er ab-
[43]
schreibt. Sonst wurde, außer den Kirchenvätern, auch Thomas von Aquino von Lyra vie
[44]
benutzt, gerade im Hiob (Herzog a. a. O.). Auch mit Rücksicht auf diese Tatsachen bedarf die
[45]
Quellenfrage einer näheren Untersuchung.


Text viewFacsimile