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nicht wahrscheinlich. Aber seine geistigen Erben hat Peter Chelčický noch kennen gelernt.

Die Erbschaft, die Chelčický den Begrůndern der Unität hinter- liess, ist seine Lehre gewesen. Er hat dieselbe in seinen zahlreichen Schriften niedergelegt, die mitunter an die gelehrten Traktate der Zeit erinnern, gewöhnlich aber die populäre Vortragsweise der da- maligen Postillen einhalten.') Grosse Kraft und satirische Schärfe ge- winnt Chelcickys Stil?) wenn er das falsche Christentum schildert; seine polemischen Ausführungen treffen den Gegner mit wuchtigen Schlägen. Beweisführung und Polemik werden meist durch Schrift- stellen begründet, daneben die ältesten Lehrer der Kirche, wie Diony- sius Areopagita hochgehalten, die Kirchenväter, wie der h. Augustin, manchmal angezogen, nicht selten auch getadelt, die grossen Schola- stiker, wie Thomas von Aquino, verspottet. An die Stelle der letzte- ren tritt Wiclif.

In keiner seiner Schriften trägt Chelčický das Ganze seiner Lehre systematisch vor. Auch haben sie selten ein geschlossenes Thema. Abschweifungen, Wiederholungen kommen überall vor. Wenn in dem Folgenden der Versuch gemacht wird, Cheléickys Lehre in eine Art von System zu bringen, so geschieht es auf die Gefahr hin, den theo- logisch geschulten Lesern nicht zu genügen, bei anderen aber kein rechtes Interesse an einer Lehre zu erwecken, die dem Kopfe eines Denkers und Grüblers entsprang, welcher, im Zeitalter des Humanis- mus lebend, sich zwar den grossen Autoritäten des Mittelalters nicht unterwarf, aber doch seinem ganzen Wesen nach dem Mittelalter an- gehórt.*)

Die einzige Quelle des Glaubens ist Gottes Wille. Davon geht Chelčický ůberall aus. Diesen seinen Willen hat Gott den Menschen einmal endgiltig und erschópfend kundgegeben, und zwar durch die Apostel, durch die von ihnen verfassten Schriften und die von ihnen begründete Kirche. Diese entstand, indem sie überall predigend Ge- meinden stifteten, vollkommen im Glauben und tadellos im Wandel, ein Muster für alle Zukunft. Für Chelčický gibt es keine Entwicke-

!) Postillen in bohmischer Sprache haben vor Chelčický Milič, Hus, Jako- bell verfasst.

?) Vgl. Palacky IV, 1 S. 480.

?) Manches liesse sich in ein modernes Gewand kleiden, wie die Forderung vollständiger Toleranz und Religionsfreiheit, die Ansichten über das Verhältnis von Kirche und Staat: aber es sind dies dann keine Sätze Chelčickýs mehr. Eine solche Darstellung formulirt nicht das Wesen der Sache, sondern alterirt es.



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