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von ihnen abweicht, ihnen sogar widerspricht. Das wahre Christentum:
verträgt sich — um es zu wiederholen — nach Cheléicky weder mit
der Kirche noch mit dem Staate, wie sich beide im Laufe des Mittel-
alters entwickelt haben, am wenigsten aber mit dem Verhältnisse bei
der zu einander, das die reformatorischen Ideen des 14. und 15. Jahr-
hundertes nicht aufheben wollten, wenn sie es auch anders auffassten,
indem sie an die Stelle der Pflichten, die die Kirche des Mittel-
alters dem christlichen Staate auferlegte, Rechte setzten.
Aber auch diese Ideen, die Staat und Kirche vollständig scheiden,
die Kirche, Staat und Gesellschaft einer vernichtenden Kritik unter-
werfen, sind dem Mittelalter vor Peter Chelčický nicht vollständig
fremd gewesen. Sie sind vielmehr bei einer Sekte zu finden, die die
Kirche ausstiess und der Staat im Dienste der Kirche verfolgte: bei-
der Sekte der Waldenser. Es wäre aber gewagt, sofort zu behaupten,
Cheléicky habe die Primissen seiner Lehre von der Waldensern er-
halten, da bei aller Ähnlichkeit, die sich bei niherer Vergleichung
herausstellt, auch eine parallele Entwickelung angenommen werden
könnte. Wir müssen zurückgreifen auf die oft berührte Frage, ob
sich Beziehungen zwischen den Waldensern und der hussitischen Be-
wegung überhaupt nachweisen lassen.
Böhmische Waldenser lassen sich in keiner Zeit mit Bestimmt-
heit nachweisen, ich meine Gemeinden der Waldenser, die sich durch
Generationen im Lande erhalten hätten.!) Dagegen erfahren wir mit
vollständigster Sicherheit, dass es in einem Nachbarlande, Österreich,
seit dem 13. Jahrhunderte ununterbrochen Gemeinden der Waldenser
gegeben habe, und wir kennen auch ihre Lehre, wie dieselbe im letzten
Jahrzehnte des 14. Jahrhundertes durch die Inquisitoren in Artikel
gebracht worden ist.?)
1) Palacky, Uber die Beziehungen der Waldenser zu den Secten in Bóhmen.
Prag 1870. — v. Zezschwitz, Die Katechismen. S. 154.— Ich mache einen Unter-
schied zwischen Gemeinden der Waldenser und Anhängern ihrer Lehre unter der
einheimischen Bevölkerung, ohne läugnen zu wollen, dass gewiss auch fremde
Waldenser nach Böhmen kamen. Nur mit diesem Vorbehalt kann ich Wilhelm Pre-
gor beipflichten, der in seinen wichtigen Beiträgen zur Geschichte der Waldesier
(München 1875. S. 61) sagt, dass es in Bóhmen zahlreiche Waldenser unmittel-
bar vor dem Auftreten des Hus gegeben habe. Der früher fálschlich dem Peter
von Pilichdorf zugeschriebene Traktat vom J. 1395, auf den sich W. Pregor be-
ruft, ist auch in bóhmischen Handschriften zu finden. So in Ms. Un. 13 E 5, wo-
nach Hófler (Ss. III S. 167) zu berichtigen ist, der Andreas de Broda als den
Verfasser annimmt. Die Schlussbemerkung: Reprobacio Waldensium haereticorum
finita a. d. 1428 in Egra — rührt vom Abschreiber her.
*) Hier kommen in Betracht: Der Traktat vom J. 1395. — Der Bericht des
Inquisitors Petrus -ijber die ósterreichischen Waldenser v. J. 1398 (bei Pregor). —
Mit derselben Inquisition hüángen zusammen: a) Refutatio errorum, Max. Bibl. XXV