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darin wurden die Gesetze Mosis, die Schriften des Pentateuchs
neben anderen Heiligtiimern verwahrt. Nicht mit Unrecht wurde
deshalb in einem gewissen Sinne die Bundeslade der Juden von
Hubert Hall als das Prototyp der Archive als ein »eguivalent
of the modern Archivs« hingestellt.
I. 7. Es kann kein Zweifel dariiber bestehen, daß in der
Merowingerzeit der Kronschatz, dem damals eine so hohe Be-
deutung beigemessen wurde, daß er geradezu das Reich selbst
repräsentierte, und das Archiv untrennbar mit einander zu-
sammenhiengen. Es wäre nun das Nächstliegende anzunehmen,
daß man auch späterhin in der Karolingerzeit an diesem Brau-
che festgehalten und die Urkunden in der сареПа хат’ ёЁо zd
der Aachner Pfalzkapelle verwahrt hat. Hier in der Aachner -
Marienkirche lagen unter der Obhut der capellani neben ande-
ren kostbaren und wichtigen Gegenstinden die Reichsheilig-
tümer, das sind der große Schatz an Reliquien, den die Karolin-
ger allmählich gesammelt hatten. Wir besitzen einen Quellen-
-beleg, über den diejenigen, welche den Zusammenhang zwischen
Kapelle und Archiv leugnen, nicht hinwegkommen kónnen. Karl
der Grofe.lie& im Jahre 794 über die erfolgte letzte Verzicht-
leistung Tassilos drei gleichlautende Aufzeichnungen ausferti-
gen, von denen eine in dem Tassilo angewiesenen Kloster, eine
andere in der Pfalz und die dritte »in sacri palatii capella«
aufbewahrt werden sollte.
I 8. Der Zusammenhang zwischen Kapelle und Archiv
läßt sich dann später nicht nur in Frankreich, sondern auch
im Norden und Süden Europas, in England wie in Unteritalien,
ganz deutlich verfolgen. Schon die Merowinger haben ihren
. Reliquienschatz, dessen Hüter die capellani waren, mit sich ge-
führt. Der Verlust des Schatzes, der Reichsheiligtümer, war
mit dem Verluste des Kónigreiches gleichbedeutend. Auch die
Karolinger wie die französischen Könige haben ihren Schatz
mit sich geführt. Philipp August soll nun im Jahre 1194 mit
diesem Brauche (nach dem Verluste des großen Schatzes der
französischen Könige) gebrochen und die Kapelle mit dem
Schatze und dem Archive in Paris stabilisiert haben; von da
ab wurde das französische Kronarchiv bei der Sainte Chapelle
du Palais über der Sakristei verwahrt. Daß auch jetzt das Ar-
chiv nur einen Teil des Schatzes bildete, ersehen wir aus seiner
Bezeichnung: »Trésor des Chartes« — »Thesaurus chartarum
et privilegiorum domini regis«. Mit einer Deutlichkeit, die
nichts zu wünschen übrig läßt, tritt uns die Identität zwischen
Kapelle-Religuienschatz- und Archiv in der englischen Über-
lieferung entgegen. In den thesauri des Königs zu Winchester
erliegt nachweisbar seit Knut neben den Reliquien und dem
Edelmetallwerk das alte Archiv der englischen Könige.